Kinder des Wassermanns
worden?« erkundigte Eyjan sich mit leiser Stimme.
»Nein!« Bengta streckte die freie Hand über den Rand des Bootes und legte sie fest auf Miniks Schulter. Er errötete. Diese Zurschaustellung von Gefühlen, die den Inuit fremd war, setzte ihn in Verlegenheit, aber er ließ ihre Hand, wo sie war. »Erzählt mir von euch«, bat sie.
Eyjan zuckte die Schultern. »Mein Bruder und ich sind zur Hälfte menschlich.« In Kürze legte sie dar, was geschehen war. Mit nicht ganz fester Stimme schloß sie: »Habt ihr irgend etwas davon gehört, daß Seevolk angekommen sei?«
»Nein«, antwortete Bengta. »Doch ist es gut möglich, daß es mir entgangen ist, bei dem Verlauf, den mein Leben in letzter Zeit genommen hat.«
»Sprich mit deinen Gefährten, Liebes. Sag ihnen, die Meerleute seien nicht ihre Feinde. Im Gegenteil, Meeresbewohner und Luftatmer könnten gemeinsam vollbringen, wozu keiner allein imstande wäre.«
In der singenden Sprache wurde hin und her geredet. Oft richtete Panigpak eine Frage direkt an die Halbblutkinder, manchmal mit Hilfe der Norwegerin. Stück für Stück kamen die Tatsachen zum Vorschein. Nein, diese Inuit wußten nichts von irgendeiner Ankunft. Doch sie verbrachten die meiste Zeit an Land und jagten, und nur selten fuhren sie weit aufs Meer hinaus – niemals so weit wie die weißen Männer, die in vergangenen Zeiten bis über den Horizont hinausgesegelt waren, um Bauholz zu holen (Bengta sprach von einem Ort, den sie Markland nannte), und immer noch die Gewohnheit hatten, im Sommer mit ihren Booten tollkühne, lange Reisen zu unternehmen. (Im Winter hockten sie dagegen zu Hause, und das war die Zeit, da die Inuit reisten – mit Hundeschlitten, über Land oder über das Eis an den Küsten.) Deshalb mochten die Bewohner von Vestri Bygd Kunde von Geschehnissen auf irgendeiner Insel haben, von denen arme, unwissende Leute in Kajaks nichts zu sagen wußten. Wenn dem so war, würde Bengtas Vater es bestimmt wissen, denn er sei der mächtigste Mann in der Siedlung.
Tauno und Eyjan konnte der Ausdruck des Entsetzens nicht entgehen, mit dem der Name Haakon Arnorssohn ausgesprochen wurde. Seine eigene Tochter zuckte zusammen, und ihre Stimme wurde hart.
Wie dem auch sein mochte ... »Nun, wir müssen ihn aufsuchen«, murmelte Eyjan. »Sollen wir ihm eine Botschaft von dir überbringen, Bengta?«
Die junge Frau verlor ihre Selbstbeherrschung. Tränen stürzten aus ihren Augen. »Bringt ihm meinen Fluch!« schrie sie. »Sagt ihm ... sagt ihnen allen ... sie sollen das Land verlassen ... bevor der Tupilak sie vernichtet ... den unser Angakok gegen sie gesandt hat ... wegen
seiner
Missetaten!«
Minik umklammerte seine Harpune. Panigpak verkroch sich tiefer in seine Pelze, als wolle er sich verstecken. Frauen und Kajaks wichen vor den beiden im Bug zurück. Kinder schienen das Unbehagen zu spüren und begannen zu schreien. »Ich glaube, am besten verschwinden wir hier«, sagte Tauno aus einem Mundwinkel. Eyjan nickte. In Zwillingsbögen sprangen die Kinder des Wassermanns aus dem Umiak und verschwanden im ruhelosen, bitteren Wasser.
8
In dem Gespräch war ihnen mitgeteilt worden, wo Haakons Hof an der großen Bucht, die Vestri Bygd Schutz bot, lag. Der kurze, graue Tag war in Dämmerung übergegangen, als die Halbblutkinder ihn fanden. Im Schatten verborgen legten sie die Kleider an, die sie eingerollt auf dem Rücken mit sich getragen hatten. Die Hemden konnten kaum darüber hinwegtäuschen, was sie waren. Statt aus Tuch, das durch Feuchtigkeit schnell verrottet wäre, bestanden sie aus regenbogenfarbener dreifacher Fischhaut und stammten noch aus Liri. Wenn auch kurz, würden sie in den Augen von Christen nicht so anstößig sein wie Nacktheit. Aus den wasserfesten Umhüllungen nahmen die Geschwister Stahlmesser. Doch legten sie ihre rostfreien Waffen aus Stein und Knochen ab; ihre Speere trugen sie in der Hand.
Danach ritten sie auf die Heimstatt zu. Scharfzähniger Wind heulte, Wellen rieben die Steine am Strand aneinander. Feenaugen erkannten in der Finsternis mehr, als ein Mensch hätte sehen können, aber der Anblick zwischen den buckligen Hügeln war überall trostlos. Die Siedlung war keine Stadt. Ihre Häuser waren über viele Meilen Öde verstreut, denn dieses Land mit seinen kurzen, trüben Sommern war geizig. Da es beim Getreide oft zu Mißernten kam, konnten sich die Bewohner für ihren Lebensunterhalt auf nichts anderes verlassen als auf das Gras, Weide und Heu für ihr Vieh.
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