Kinder des Wassermanns
ihm ins Gesicht sehen zu können. Ganz leicht legte sie die freie Hand auf seine Brust. „Du hast eine unsterbliche Seele, auf die du achtgeben mußt. Die Umstände haben uns zu Schiffsgefährten gemacht, aber ich möchte nicht der Anlaß zu deinem Verderben sein, geliebter Freund.“
In seiner Qual faßte er nach ihrem Busen und stöhnte: „Ich kann nicht von dir lassen. Nie. Und du – du wirst mich doch auch nicht verlassen wollen, nicht wahr? Sag mir, daß du es nicht tun wirst!“
Sie beruhigte ihn mit Küssen, bis er bereit war, ihr zuzuhören. „Wir wollen uns nicht um das Morgen ängstigen, Niels. Damit verderben wir uns doch nur das Heute, das uns gehört. Reden wir nicht mehr von Liebe.“ Sie lachte leise. „Reden wir von guter, ehrlicher Lust. Du bist ein sehr erregender Bursche, wußtest du das?“
„Aber du bedeutest mir etwas …“
„Und du mir. Wir können vieles miteinander teilen, Arbeit, Gespräche, Lieder, einen Blick über See und Himmel … wir können gute Kameraden sein …“ Wieder lachte sie, tief in der Kehle. „Doch in dieser Stunde haben wir anderes zu tun, und ich spüre, daß du … wie wundervoll.“
Oben im Krähennest hörte Tauno die Geräusche, die sie verursachten. Sein Mund wurde schmal. Immer wieder und wieder schlug er mit der Faust in die Handfläche.
Das gute Wetter hielt an, und die Herning rumpelte schneller nach Süden, als es zu erwarten gewesen war. Wenn ihr ein Schiff begegnete, das zwischen England und Irland dahinpflügte, rief Hauau, wie ein Mensch gekleidet, in englischer Sprache hinüber, was er und Niels für die jeweilige Gelegenheit gerade am plausibelsten hielten. Da sie offensichtlich weder auf einer kriegerischen Unternehmung noch Piraten waren, genügte das. Einmal drehten sei bei und warteten, bis es Nacht geworden war, damit sie sich an einem königlichen Schiff vorbeistehlen konnten, das sich Hauau in seiner Seehundform aus der Nähe ansah. Das Schiff hätte sie der Spionage oder des Schmuggeins verdächtigen und anhalten können.
An einem wolkigen Abend kam Tauno mit einem schönen, großen Lachs zurück. Er schwang sich die Strickleiter empor, die mittschiffs herabbaumelte, und warf den Fisch auf die Planken. „Ho, ho!“ bellte der Selkie unter dem dunklen Achterdeck hervor, wo er am Ruder stand. „Willst du mir gleich ein Stück davon abschneiden?“
Tauno nickte und brachte ihm das Stück. Im trüben Licht einer Laterne, die die zitternde Kompaßnadel beleuchtete, wirkte Hauau weniger menschlich als bei Tage. Er schnappte sich das rohe Fleisch und zerriß es gierig. Die Geschwister machten sich ebenfalls nichts aus gekochten Fischen, und Ingeborg bereitete sie nur für Niels und sich zu. Trotzdem huschte ein Ausdruck des Ekels über Taunos Gesicht, bevor er sich beherrschen konnte.
Hauau merkte es. „Was hast du?“ fragte er.
Tauno zuckte die Schultern. „Nichts.“
„Doch, und ich glaube, es hat etwas mit mir zu tun. Sprich es aus. Wir können es uns nicht leisten, Mißfallen an dem anderen aufsprießen zu lassen.“
„Ich habe keine Klage gegen dich“, antwortete Tauno mürrisch. „Doch wenn du es unbedingt wissen mußt, dann will ich dir sagen, daß wir in Liri manierlichere Eßgewohnheiten haben.“
Hauau betrachtete ihn einen Augenblick forschend, und offenbar überlegte er sich seine Worte gut.
„Darüber würdest du dich nicht ärgern, wenn es nicht dem Zweck diente, deine Gedanken von etwas anderem abzulenken, das dich schmerzt. Was ist los, Junge?“
„Nichts, habe ich dir gesagt!“ fauchte Tauno und wandte sich zum Gehen.
„Warte!“ rief der Selkie. Tauno blieb stehen.
„Ist es das, daß es kein Mädchen für dich gibt, wo doch Niels und ich eines haben?“ überlegte Hauau. „Ich glaube, Ingeborg würde dich mit Freude in die Arme schließen, und ich mißgönne dir das Vergnügen bestimmt nicht.“
„Du glaubst doch nicht, daß sie …“ Tauno brach ab. Dieses Mal ging er wirklich.
Draußen verdichtete sich die Dämmerung. Eine undeutliche Gestalt glitt ein Wanttau herunter und landete mit einem Plumps auf dem Deck. Tauno trat näher. Niels mußte seine Augen anstrengen, um etwas zu sehen, aber der Sohn des Wassermanns erkannte sofort, daß der andere verwirrt war.
„Was hast du da oben gemacht?“ fragte er.
„Ich … nun, Eyjan hat doch Wache im Krähennest“, erwiderte Niels mit einer Stimme, die ein klein wenig zitterte. „Wir haben uns miteinander unterhalten, bis sie mir riet,
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