Kinder des Wassermanns
ich solle lieber hinabklettern, solange ich noch sehen könne.“
Tauno nickte. „Ja, du läßt dir keine Gelegenheit entgehen, in ihrer Gesellschaft zu sein, wie?“
Er starrte ins Leere. Niels faßte ihn am Handgelenk. „Tauno … ich bitte dich, hör mich an.“
Der Prinz von Liri dreht sich zu ihm um. „Nun?“ fragte er nach langem Schweigen.
Niels schluckte. „Du bist hochmütig geworden. Kalt gegen mich – ich glaube, gegen alle, aber besonders gegen mich. Warum? Habe ich dir irgend etwas zuleide getan? Um nichts in der Welt möchte ich das, Tauno.“
„Wie kommst du zu der Annahme, du könntest mir etwas zuleide tun, Landmann?“
„Nun, deine Schwester … deine Schwester und ich …“
„Pah! Sie ist ein freies Wesen. Ich bin kein solcher Narr, daß ich sie bevormunden möchte.“
Niels streckte die Hand durch die Düsternis, die ihn von Tauno trennte. „Ich liebe sie“, bekannte er.
„Wie kannst du.das? Wir sind seelenlos, sie und ich, hast du das vergessen?“
„Ihr könnt es nicht sein! Sie ist … so wunderbar, so wunderbar. Ich möchte sie heiraten … wenn nicht vor den Menschen, dann vor Gott … sie beschützen, sie verehren, bis der Tod zu mir kommt. Tauno, ich wäre ihr ein guter Mann. Ich würde gut für sie sorgen – und für die Kinder. Mein Anteil an dem Gold – ich weiß, wie ich es fruchtbar machen kann … Willst du mit ihr sprechen, Tauno? Sie läßt mich nicht davon reden, aber willst du es tun, meinet- und ihretwegen? Sie könnte sogar gerettet werden, wenn …“
Seine überstürzten Worte blieben ihm in der Kehle stecken, als der Sohn des Wassermanns ihn bei den Armen faßte und schüttelte, bis ihm die Zähne klapperten. „Halte den Mund!“ fuhr Tauno ihn an. „Noch ein Wort, und ich schlage dich nieder! Genieße das Vergnügen, solange es dauert. Denn das bedeutet es für sie, verstehst du, ein Vergnügen, das vorerst letzte von Dutzenden. Nichts sonst. Sei froh, daß es ihrer Laune entspricht, sich dir hinzugeben, und belästige uns nicht mit deinem Gewinsel. Hast du verstanden?“
„Ja, verzeih mir, es tut mir leid“, schluchzte Niels. Als Tauno ihn losließ, sank er auf dem Deck zusammen.
Der Sohn des Wassermanns blieb eine Weile neben ihm stehen, aber sein Blick ging nach oben. Nichts rührte sich dort, außer daß der Wind eine Haarlocke flattern ließ. Er öffnete den Mund, um etwas in der Liri-Sprache hinaufzurufen, aber er schloß ihn wieder.
Langsam kam er zu einer Entscheidung. „Bleib auf Deck, Niels, bis ich dir sage, daß du nach unten kommen darfst“, befahl er.
Dann wandte er sich schnell der nächsten Luke zu. Er machte sich nicht die Mühe, den Deckel zu schließen, was die Geräusche gedämpft hätte. Er ging geradewegs zu Ingeborgs Strohsack und weckte sie auf.
Ein sanfter Wind trieb Regen von Irland her und verwischte alle Farben zu Taubengrau. Lauter als das Flüstern der Brise schlugen die Tropfen auf das Wasser und übersäten die Wellen mit kleinen Löchern. Jeder Atemzug trug durch Kühle und Feuchtigkeit einen Hauch von grünen Feldern heran.
Da ein Ausguck vom Mastkorb aus nichts nützte, schwammen Tauno und Eyjan als Kundschafter voraus. Sie konnten die Kogge nur noch undeutlich erkennen. Zum ersten Mal seit langer Zeit waren sie miteinander allein. So langsam, wie das Schiff heute segelte, brauchten sie sich nicht anzustrengen und konnten sich leicht unterhalten.
„Du warst grausam zu Niels“, sagte sie.
Er spritzte mit Wasser. „Du hast uns gehört?“
„Natürlich.“
„Was hast du ihm gesagt?“
„Du seist schlechter Stimmung gewesen, und er dürfe es sich nicht zu Herzen nehmen. Er war sehr traurig. Sprich freundlich zu ihm, Tauno. Er verehrt dich.“
„Und dich betet er an. Der junge Einfaltspinsel!“
„Nun, ich bin sein erstes, wirklich sein erstes Mädchen, hast du das gewußt?“ Eyjan lächelte. „Er lernt schnell und gut. Soll er in seinem Leben noch viele andere glücklich machen, nachdem wir uns getrennt haben.“
Tauno blickte finster. „Ich hoffe, er wird nicht so lange über dich grübeln, bis er allen Verstand verliert, den er je gehabt haben mag. Er und Ingeborg – wen sonst haben wir, der Yrias wegen für uns mit den Menschen verhandeln könnte? Du und ich, wir könnten uns kaum als Landvolk ausgeben, geschweige denn als dänische Untertanen.“
„Ja, darüber haben wir gesprochen, er und ich.“ Eyjan war ebenfalls besorgt. „Wenigstens weiß er, daß er vorsichtig sein muß,
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