Kinder des Wassermanns
wenn er, ein einfacher Seemann, sich einen Weg durch Gesetze bahnen will, die dazu gemacht wurden, ihn fest an sein vorbestimmtes Geschick zu fesseln.“ Eindringlich fuhr sie fort: „Und doch setze ich meine Hoffnung auf ihn, denn er ist klug, und es schlummern in ihm noch Möglichkeiten.“ Leiser: „Vielleicht wird er mich wirklich nicht aus seinem Herzen reißen, wie er es tun müßte …“ Entschlossen: „Aber Ingeborg wird ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen, und ich nehme an, daß sie schon alle Arten von Männern kennengelernt hat.“
„Sie ist stark“, stimme Tauno gleichgültig zu.
Eyjan dreht sich auf die Seite, damit sie ihn ansehen konnte. „Ich dachte, sie würde dir mehr als das bedeuten.“
Tauno nickte. „Ich mag sie gern, aye.“
„Und ihre Gefühle für dich … Oben im Krähennest konnte ich hören, mit welcher Freude sie dich empfing, als du sie aufgeweckt hattest. Sie sagte kein lautes Wort, aber gehört habe ich sie doch.“ Eyjan zuckte zusammen und dachte nach. Dann fuhr sie fort: „Am anderen Tag haben wir miteinander gesprochen, sie und ich. Von Frau zu Frau. Sie macht sich Gedanken darüber – auch wenn ihr Verstand ihr sagt, daß es unmöglich ist –, ob wir uns nicht in ihrer Nähe ansiedeln und die Suche nach unserem Volks aufgeben könnten. Mit dem Gold könnten wir uns Land an der Küste kaufen. Als ich ihr sagte, das sei unmöglich, wandte sie das Gesicht von mir ab. Dann sah sie mich wieder an und plauderte weiter mit mir, ganz unbeschwert. Aber ich hatte ihre Schultern und Hände beobachtet.“ Eyjan seufzte. „Es ist für Sterbliche wirklich nicht gut, sich mit Bewohnern des Feenreichs einzulassen.“
„Umgekehrt auch nicht“, brummte Tauno.
„Das ist wahr. Arme Ingeborg. Und doch – wie können wir als die letzten beiden vom Seevolk in Dänemark überleben? Finden wir unseren Vater nicht, müssen wir versuchen, uns einem anderen Stamm anzuschließen. Schwer genug wird uns die Suche durch die ganze Welt werden.“
„Ja … schwer“, sagte Tauno. Sie blickten einander in die Augen. Er wurde bleich, sie errötete. Mit einem Mal tauchte er und kam eine Stunde lang nicht wieder nach oben.
Die Herning umrundete Wales, fuhr an den weißen Klippen von England entlang und an den Niederlanden vorbei auf die Heimat zu.
4
Das Schiff der Liri-Leute hatte schon mehr als die halbe Strecke an der dalmatinischen Küste entlang zurückgelegt, als die Sklavenfänger es entdeckten.
Anfangs fürchtete keiner des Seevolks etwas Böses, nicht einmal Vanimen. Seit sie das Tor des Herkules hinter sich gelassen hatten, waren ihnen viele Schiffe begegnet; das hier waren vielbefahrene Gewässer. Da Vanimen acht darauf gab, sich ein gutes Stück vom Land entfernt zu halten, griff sie niemand an. Ebenfalls aus Vorsicht hatte er befohlen, daß jeder tagsüber an Deck Kleider zu tragen hatte, die aus den Truhen der Seeleute stammten, und daß die Schwimmer bis nach Eintritt der Dunkelheit unter Wasser bleiben mußten. Das Nordland-Fahrzeug, offensichtlich vom Sturm angeschlagen, zog Neugier und manchmal – so glaubte Vanimen – Hilfsangebote auf sich. Hielt ein Schiff auf sie zu, dann winkte er ab und rief hinüber, so gut er es auf Latein konnte, sie benötigen nichts und seien unterwegs zu einem nahe gelegenen Hafen. Das tat seine Wirkung, auch wenn er nicht sicher war, ob es daran lag, daß seine Sprache der hier gebräuchlichen nahe genug kam oder daß die Skipper einer so zerlumpten und merkwürdig aussehenden Gesellschaft, wie sie da erblickten, lieber aus dem Weg gingen. Aus der Anwesenheit von Frauen und Kindern, die er mit Absicht an Deck weilen ließ, ging jedoch klar hervor, daß sie keine Piraten waren. Deshalb kam kein Kriegsschiff längsseits.
Wäre das geschehen, dann hätten sie das Schiff verlassen. In allen anderen Fällen war Vanimen dagegen. Das Schiff blieb trotz seines schlechten Zustands, seiner Langsamkeit, Schwerfälligkeit und der unaufhörlichen Arbeit an den Pumpen ihr Zufluchtsort – und diente ihnen auf dem engen Meer, das Christen und Muselmanen voneinander trennte und in dem kein Angehöriger des Feenreichs überlebt hatte, als Tarnung. Deshalb ließ er es weiterfahren, Tag und Nacht, Tag und Nacht. Trat Windstille ein und war die Sonne untergegangen oder waren keine Menschen in der Nähe, dann ließ er das Schiff von seinem Volk ziehen. So entfaltete es eine größere Geschwindigkeit als jede sterbliche Mannschaft aus ihm herausgeholt
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