Kinder erziehen - die 101 wichtigsten Fragen und Antworten
wird er ein Leben lang Probleme damit haben. Das trifft allerdings auf die wenigsten Kinder zu.
Wie wenig sinnvoll auch das frühe Rechnen lernen ist, beschreiben die Psychologinnen Kathy Hirsh-Pasek und Roberta Michnick Golinkoff in ihrem Buch »Einstein Never Used Flashcards». Erst mit vier bis fünf können Kinder richtig zählen undZahlen zuordnen. In diesem Alter fangen sie auch an weiterzuzählen. Voraussetzung dafür ist ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit und Selbstbeherrschung, Eigenschaften, die von den Stirnlappen kontrolliert werden, einer Hirnregion, die im Vergleich mit dem gesamten Gehirn am langsamsten heranreift.
Eine Studie des amerikanischen National Bureau of Economic Research hat untersucht, ob der Besuch eines Kindergartens, wo Drei- und Vierjährige bereits lesen üben, sich auf die Schullaufbahn günstig auswirkt. Sie kam zu dem Ergebnis: Bis zum Ende des ersten Grundschuljahrs büßen Kinder ihren Leistungsvorsprung wieder ein. Mit einer Ausnahme: Kinder aus bildungsfernen Schichten. Sie schneiden auch später noch besser ab als benachteiligte Kinder ohne Frühförderung.
Dennoch geraten immer mehr Eltern unter Druck und fürchten, dass ihr Kind auf der Strecke bleibt, wenn sie es nicht von klein auf gezielt fördern. Diese Sorge ist unberechtigt. Alle Kinder lernen mit Leidenschaft und am liebsten und besten selbstbestimmt, spielerisch und mit allen Sinnen. Und wo? In der Natur, einer hochkomplexen Umgebung, die dem Gehirn alles bietet, was es braucht, finden Kinder auf jeder Ebene die schönsten Anregungen: die kleinen Steine und Matsch und die größeren Pflanzen und Tiere.
80 Macht Frühförderung intelligent und erfolgreich?
In der Diskussion um die Frühförderung wird oft der Eindruck vermittelt, dass, wenn man früh genug anfängt und es richtig anstellt, Kinder im späteren Leben erfolgreich und glücklich werden.
Das ist ein großes Missverständnis. Das Gehirn ist kein Sparbuch, auf das man einen Betrag X einzahlt und nach ein paar Jahren den Betrag Y bekommt. So funktioniert Lernen nicht. Die hohen Erwartungen, die mit einer frühen Förderung verbunden werden, sind überzogen.
Um zu entscheiden, welche Aktivitäten in den ersten drei, vier Lebensjahren sinnvoll sind, sollten sich Eltern nach denInteressen und Vorlieben ihres Kindes und denen der Familie richten, nicht danach, was das Nachbarskind macht oder was angeblich für ein bestimmtes Alter sinnvoll ist.
Erst ab etwa vier Jahren sind Kinder überhaupt offen für instruktives, stärker angeleitetes Lernen. Dann haben sie aufgebaut, was man «theory of mind» nennt. Sie können die Perspektive eines anderen einnehmen, Gedanken und Gefühle eines anderen Menschen in das eigene Denken integrieren. Sobald Kinder das beherrschen, ist etwas mehr Spezialisierung durchaus sinnvoll. Wenn man sein Kind auf das Lesen vorbereiten möchte, ist phonologische Bewusstheit wichtig. Um Buchstaben mit den entsprechenden Lauten verbinden zu können, muss ein Kind ein Gefühl für die akustische Form der Sprache bekommen. Das lässt sich vermitteln, indem man viel zusammen singt, reimt, Silben klatscht. Auf Mathematik kann man vorbereiten, indem man über Symmetrien spricht und spielerisch zählt, zum Beispiel beim Treppensteigen, nicht, indem man Rechenaufgaben stellt.
Auch an Naturwissenschaften kann man heranführen. Dabei sollte man mehr auf Tiefenstrukturen als auf Oberflächenmerkmale achten: Warum sind sich beispielsweise Wal und Hund ähnlicher als Wal und Haifisch? Das können Kinder leichter verstehen, wenn sie schon wissen, dass man Tiere sehr unterschiedlich klassifizieren kann. Zum Beispiel danach, wie sie sich fortpflanzen, wie groß sie sind und was sie fressen.
Klassifizieren lernen Kinder am besten über eine ihre Lieblingsbeschäftigungen, das Sammeln. Hier kann man vorschlagen, eine Sammlung mal anders zu klassifizieren. Zum Beispiel Steine statt nach Größe nach dem Fundort zu sortieren.
Und die Klassiker Kleinkinderturnen und musikalische Früherziehung? Natürlich sind sie durchaus sinnvoll – vorausgesetzt, diese Beschäftigungen machen dem Kind Freude.
Lernforscher warnen vor der Erwartung, dass sich durch eine frühe Förderung die Intelligenz steigern lässt. Ob ein Kind später hohe oder niedrige kognitive Werte entwickelt, hat man nicht in der Hand. Was Eltern dagegen beeinflussen können, istdie Selbstregulation. Um erfolgreich zu lernen, müssen Kinder Frustrationstoleranz aufbauen und verstehen, dass
Weitere Kostenlose Bücher