Kinder
und zog den Umschlag
heraus. Fahrig riss sie ihn auf und wollte eben den Packen Scheine herausziehen,
da überfiel sie ein Gefühl des Ekels. Nein, das Geld konnte sie jetzt nicht
zählen, nicht in dieser Nacht – nicht diese Scheine, die ihr dieser Typ
zugesteckt hatte.
Sie nahm einen Schluck Wein, legte den aufgerissenen Umschlag neben
das Telefon, ging zurück in die Küche und schenkte sich noch einmal nach.
Als Sören den Fluss endlich erreichte, hatte der Verkehr
auf der mehrspurigen Straße hinunter zur Neckarbrücke bereits merklich
nachgelassen. Er schlug sich seitlich in die Büsche und zwängte sich zwischen
Ästen und Blattwerk hindurch bis zur letzten Böschung, die neben der Brücke in
den hier eher träge dahinfließenden Neckar führte.
Auf dem Wasser spiegelten sich einige Lichter und vereinzelt waren
oben auf der Brücke vorbeifahrende Autos zu hören. Unter der Brücke lagen der
Fluss und auch der Platz, den sich Sören ausgesucht hatte, in fast völliger
Dunkelheit. Ein Stück weit entfernt war ein älterer Kleinwagen geparkt, aber
auch dieses Auto stand im Schatten, und Sören konnte nicht sehen, ob jemand
drin saß.
Sören stellte den Rucksack ab und schnürte ihn auf. Dann zog er
einen Schlachthaken heraus, wie man ihn zum Aufhängen von Schweinen benutzte.
An dem Haken war ein Seil befestigt, und Sören schwang das Seil ein paar Mal,
bevor er es nach oben zu dem Brückengeländer hinwarf. Scheppernd prallte der
metallene Haken vom Geländer ab und fiel kurz darauf mit einem lauten Platschen
in den Fluss.
Sören holte das Seil ein, rollte es auf und unternahm den nächsten
Versuch. Wieder klappte es nicht, und wieder machte der Haken am Geländer einen
Höllenlärm. Egal, dachte Sören, das hört hier unten ohnehin keiner.
Beim dritten Anlauf blieb der Haken oben am Geländer hängen, und
Sören zog das Seil straff. Dann nahm er die Schlinge, die er am unteren
Seilende vorbereitet hatte und legte sie sich um den Hals. Ein paar Minuten
stand er so am Ufer, blickte still auf das dunkle, fließende Wasser, dann ging
er zwei, drei Schritte zurück, atmete tief durch, rief sich, um sich in seinem
Entschluss zu bekräftigen, noch einmal die Erlebnisse mit Moeller in Erinnerung – dann lief er los und sprang ins Leere.
Als sich das Seil endlich straffte und ihm den Atem raubte, steckte
er bereits bis zur Hüfte im Wasser, und seine Füße fanden kurz Halt auf dem
glitschigen Boden. Er rutschte aus, rappelte sich in einem Panikanfall wieder
auf, versuchte mit beiden Händen die Schlinge zu lockern und schrie, als es ihm
nur teilweise gelang und er wieder ausrutschte, um sein Leben.
Eine der Türen des alten Kleinwagens öffnete sich, ohne dass im
Innenraum die Beleuchtung anging.
»Hast du das jetzt auch nicht gehört?«, fragte das Mädchen, und sie
klang ziemlich genervt – denn schon vorher war ihr ein Klappern wie von Metall
auf Metall aufgefallen, dann mehrere Platscher und nun die Schreie.
Der Junge, der am liebsten gar nichts gehört hätte, hievte sich
unwillig aus dem Auto, sah zur Brücke hinüber und sprang plötzlich los:
»Mensch, komm!«, rief er zu dem Mädchen, das noch im Auto saß, »da hängt
einer!«
Lukas schreckte gegen vier Uhr hoch und spürte unmittelbar
danach den nassen Fleck. Er nahm einen Slip und eine Pyjamahose aus dem Schrank
und schlich auf Zehenspitzen ins Bad. Schnell zog er alles Nasse aus und
steckte es nach unten in die Wäschetonne, dann schlüpfte er in die trockenen
Hosen und ging die Treppe hinunter, um noch ein Glas Sprudel zu trinken, bevor
er sich wieder schlafen legte.
Auf dem Weg in die Küche fiel ihm der Briefumschlag auf, aus dem die
Ecken einiger Geldscheine ragten.
Der Anblick ließ ihn nicht los, als er das Glas vollschenkte und
austrank, er ließ ihn nicht los, als er wieder die Treppe hinaufschlich, und er
ließ ihn nicht los, als er schon wieder unter seiner Bettdecke lag.
Schließlich ging er wieder hinunter zum Telefonschränkchen.
Franz Moeller erwachte wie üblich eine Stunde vor dem
Klingeln des Weckers. Leise rollte er sich aus dem Bett und tappte hinüber ins
Wohnzimmer. Aus reiner Gewohnheit ging er im dunklen Zimmer ans Fenster und sah
hinaus auf die Straße.
Der Betonkasten auf der gegenüberliegenden Seite stand grau im
trüben Licht der Straßenlaternen. Kurz fragte sich Franz Moeller, warum ihm
gerade jetzt Sören Karrer in den Sinn kam, dann wandte er sich wieder ab,
rollte eine Isomatte aus, atmete mehrmals tief
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