Kinder
ihrem Metzger um die Ecke Schnittchen bestellt.«
»Das ist kein Problem, ehrlich«, beruhigte Annette Pietsch sie.
»Außerdem bin ich die Annette – wir haben, glaube ich, nun schon genug
miteinander erlebt, dass wir uns ruhig endlich duzen können.« Sie sah die Frau
an, deren Augen sich mit Tränen füllten. »Meinst du nicht auch?«, fragte sie
und drückte ihr die Hand.
Claas hatte auf dem Weg zum Treffpunkt gesehen, wie
Benjamin etwa fünfzig Meter vor ihm immer langsamer wurde, wie er dann ein paar
Mal stehen blieb, sich unschlüssig nach links und rechts umsah.
Dann, vor der letzten Ecke auf dem Weg zu den anderen, bog er nach
rechts in eine Seitenstraße ab, wurde wieder schneller und trabte schließlich
an der nächsten Abzweigung wieder nach rechts.
Claas joggte ihm noch ein Stück weit hinterher, doch dann verlor er
ihn an der nächsten Ecke aus den Augen. Er sah auf die Uhr: Noch hatte er zehn
Minuten bis zur verabredeten Zeit. Er sah noch einmal in die Richtung, in die
Benjamin gerade davongerannt war – dann drehte er um und trottete gemächlich
nach Hause.
Wenn schon Benjamin kniff, warum sollte er dann zu der Beerdigung
gehen?
Der Friedhof war schon eine gute halbe Stunde vor Beginn
der Beerdigung voller dunkel gekleideter Menschen. Klassenweise standen
zahlreiche Schüler überall zwischen den Grabsteinen, auf den Wegen und neben
der kleinen modernen Kapelle.
Sarah und Michael Pietsch standen bei ihren jeweiligen Schulklassen,
Lukas ging an der Hand seiner Mutter auf einen Platz in der Nähe der offenen
Grabstelle. Nur einige Meter weiter entfernt stand die 6d. Rosemarie Moeller
hatte sich im Hintergrund der Schüler aufgestellt, überragte sie aber mit ihrer
großen, hageren Gestalt deutlich. Auch Marius und Hype standen in der Gruppe
der Schüler, Lukas blitzte sie auf dem Weg zu seinem Platz am Grab wütend an,
als er sie in der dritten Reihe entdeckte. Benjamin und Claas hatte er nicht
gesehen.
Schließlich setzte sich vor der Kapelle ein kleiner Zug in Bewegung.
Vorneweg wurde der Kindersarg auf einem Wagen über den knirschenden Kies
geschoben, direkt dahinter ging Kevins Mutter, ganz in Schwarz und mit gefalteten
Händen, neben sich den Pfarrer. Den beiden folgte ein einzelner Mann etwa
Anfang fünfzig in einer Kombination aus dunkler Jacke und schwarzer Jeans,
danach Zweier- und Dreierreihen mit Menschen ganz unterschiedlichen Alters,
vermutlich Verwandtschaft.
Der Zug folgte langsam dem Weg und bog schließlich zum offenen Grab
hin ab. Nur vereinzelt war Gemurmel zu hören, der böige Wind verfing sich ab
und zu in den Ästen der alten Bäume, sonst herrschte gespenstische Stille.
Schließlich kam der Wagen vor dem offenen Grab zum Stehen, die vier Männer, die
ihn geschoben hatten, nahmen den Sarg auf, trugen ihn zum Grab und ließen ihn
dann langsam hinunter. Kurz blieben sie stehen, schlossen die Augen und senkten
die Köpfe, dann traten sie wieder an den Wagen und schoben ihn außer
Sichtweite.
Der Pfarrer geleitete Christine Werkmann zu ihrem Platz am Grab,
einige Verwandte scharten sich um sie. Der Mann, der hinter ihr gegangen war,
stellte sich ein paar Schritte abseits, dann begann der Pfarrer seine Rede. Er
sprach mit kräftiger, tiefer Stimme, skizzierte Kevins kurzes Leben in
rührenden Sätzen und schloss mit einem Gebet. Vereinzelt war Schluchzen zu
hören, Christine Werkmann stand stocksteif am Grab und hielt den Blick vor sich
auf den Boden gesenkt. Ihre Hände waren nach wie vor gefaltet, aber immer
wieder machten ihre Finger knetende Bewegungen, und die weißen Knöchel deuteten
darauf hin, dass sie ihre Hände sehr fest umklammert hielt.
Der Pfarrer verstummte, stellte sich an den Rand des Grabes, sah
hinein, wartete, dann griff er in eine kleine Kiste mit Erde, warf eine
Handvoll auf den Sarg hinunter, trat einige Schritte zurück und nickte
Christine Werkmann kurz zu. Kevins Mutter näherte sich langsam dem Sarg,
begleitet von einer älteren Frau, die sich eng an ihrer Seite hielt, als
befürchte sie jeden Moment, die Trauernde stützen zu müssen. Die beiden blieben
ebenfalls am Grab stehen, streuten nacheinander etwas Erde auf den Sarg und
gingen wieder zu ihrem Platz zurück. Nacheinander warfen nun auch die anderen
Verwandten Erde ins Grab, das Geräusch der kleinen Klumpen verwandelte sich mit
der Zeit von einem hölzernen Klopfen zu einem immer dumpfer werdenden Aufprall,
der Sargdeckel schien nun weitgehend mit Erde bedeckt zu sein.
Schließlich
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