Kinder
seinem Zimmer und Sarah hatte sich für heute Nachmittag abgemeldet –
irgendeinen Hendrik wollte sie treffen. Womöglich Hypes großen Bruder, der mit
ihr in die Klasse ging. Lukas horchte noch kurz, dann ging er leise die Treppe
hinunter und sah systematisch in allen Zimmern im Erdgeschoss nach, ob dort
nicht doch noch jemand war. Aber er war allein hier unten.
Kurz sah er die Treppe hinauf, aber es war nichts zu hören von
Michael. Dann ging er ins Esszimmer, holte die hässliche Suppenschüssel hervor,
die sie noch nie benutzt hatten, und nahm zwei Geldscheine heraus. Dieses Depot
war für Geburtstagsgeschenke gedacht, also stand ihm davon ja irgendwie ohnehin
ein Teil zu.
Seit Kevins Tod hatte Marius zwar nichts mehr von ihm gefordert,
aber die seltsamen Blicke, die ihm Marius und seine Kumpel immer wieder
zuwarfen, konnte er nicht recht deuten – wahrscheinlich dauerte es nicht mehr
lange, bis er dieses Geld dringend brauchen würde.
Das Klingeln holte Christine Werkmann aus dem Bad. Sie
fuhr sich noch einmal mit der Bürste durchs Haar und hob den Hörer ab.
»Hallo?«
Kurz war Stille am anderen Ende.
»Moeller«, sagte dann eine Frauenstimme, und Christine Werkmanns
erster Reflex brachte sie beinahe dazu, das Gespräch wegzudrücken. Doch
stattdessen stand sie starr und horchte stumm, wartete, was nun folgen würde.
»Frau Werkmann? Sind Sie noch dran?«
»Ja.«
»Ich … Wir … also mein Mann und ich …«
Langsam schlich sich ein böses Lächeln auf Christine Werkmanns
Gesicht: Kevins Tod brachte offensichtlich auch diese fürchterliche Lehrerin an
ihre Grenzen – Rosemarie stammelte!
»Ja?«
Christine Werkmann versuchte, besonders kühl und abgeklärt zu
klingen. Es fühlte sich gut an, Rosemarie Moeller überlegen zu sein.
»Ich dachte, wir sollten mal miteinander reden.«
»Sollten wir? Warum?«
»Ich kann Sie ja verstehen, wenn Sie nicht mit allem einverstanden
sind, was wir in unserem Unterricht machen – und wie wir mit den Schülern
arbeiten. Ich würde Ihnen unser pädagogisches Prinzip gerne näher erklären,
wenn Sie einmal Zeit haben.«
»Ich …«
»Oder gleich hier am Telefon, wenn es nicht anders geht. Wissen Sie:
Von außen mag auf Sie manches einen falschen Eindruck gemacht haben. Aber die
Schüler profitieren letztlich davon.«
»Kevin nicht, er ist tot.«
Es entstand eine kurze Pause, Wut begann wieder in Christine
Werkmann aufzusteigen.
»Ich habe ihn nicht überfahren«, sagte Rosemarie Moeller
schließlich. »Auch wenn Sie Herrn Hässler gegenüber davon gesprochen haben,
dass ich letztendlich die Schuld am Tod Ihres Sohnes trage.«
»Woher wissen Sie, worüber ich mit Herrn Hässler gesprochen habe?«
»Weil er es mir im Lehrerzimmer erzählt hat, gleich nach Ihrem
Gespräch mit ihm.«
Christine Werkmann wurde blass, sie hatte das Gefühl, ihre Knie
würden jeden Augenblick nachgeben.
»Das hat er Ihnen erzählt?«
»Ja, natürlich.«
»Natürlich? Er ist Vertrauenslehrer, und ich habe vertraulich mit
ihm gesprochen. Da kann er doch nicht einfach …«
»Wir sind Kollegen, Frau Werkmann, da unterhält man sich schon mal
ganz zwanglos miteinander, wissen Sie?«
»Aber …«
»Na, ich merke schon: Sie sind im Moment vielleicht doch nicht in
der richtigen Stimmung, um sich von mir unsere Unterrichtsmethoden erklären zu
lassen. Ich rufe besser ein anderes Mal an, ja?«
Christine Werkmann blieb stumm, ihre Gedanken schlugen Purzelbäume.
Hatte Hässler seiner Kollegin tatsächlich alles brühwarm erzählt, was sie ihm
unter vier Augen anvertraut hatte?
»Frau Werkmann?«
Rosemarie Moeller wartete noch kurz, horchte, aber als sie nichts
mehr hörte als ein leises Schluchzen, legte sie langsam den Hörer auf. Ihr Mann
stand ihr gegenüber und sah sie gespannt an. Rosemarie Moeller nickte und lächelte.
»Das sollte reichen.«
Annette und Rainer Pietsch hatten Christine Werkmann ihre
Hilfe für diesen schwierigen Tag angeboten, und sie waren fast ein wenig
überrascht, dass die Frau sie sofort beim Wort genommen hatte. Und so hatte
Rainer Pietsch den Vormittag freigenommen, Annette Pietsch hatte zwei
Besprechungen mit Neukunden verschoben – und dann hatten sie Kevins Mutter bei
den letzten Vorbereitungen geholfen.
»Tut mir leid, dass ich das Catering nicht bei Ihnen bestellt habe«,
sagte Christine Werkmann auf dem Weg vom Bestatter nach Hause, wo sie sich noch
einmal frisch machen wollte. »Ich hab das meiner Cousine überlassen, und die
hat bei
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