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Kinderfrei

Kinderfrei

Titel: Kinderfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Huber
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verzeihen, wenn er keine Kinder will, und sei es nur, weil man ihn sich immer noch als späten Vater vorstellen kann. Eine Frau jedoch, die keine Kinder will, die dem Ticken ihrer biologischen Uhr nicht nur mit Gleichmut, sondern vielleicht sogar mit Vorfreude auf das Ende ihrer fruchtbaren Jahre lauscht, mit so einer Frau kann etwas nicht stimmen. So eine ist irgendwie unnatürlich. Dabei könnte es eigentlich ganz einfach sein: Es gibt Menschen, die sich Kinder wünschen, und es gibt Menschen, Frauen wie Männer, die sich keine Kinder wünschen. Beides kommt vor, liegt also offensichtlich im Rahmen der menschlichen Natur. Dennoch empfinden viele Menschen Ersteres als völlig natürlich, Letzteres hingegen nicht. Das zeigt sich schon daran, dass die Frage »Warum willst du/hast du eigentlich Kinder?« völlig unüblich ist und, wenn sie doch einmal gestellt wird, entsprechend erstaunte Reaktionen auslöst wie »Was ist das denn für eine Frage?«, »Ist doch völlig normal«, »Jeder will doch Kinder«. Doch wo der Nachwuchs ausbleibt, dort wird gerne einmal nachgebohrt oder über Motive gerätselt, mal aus Neugier oder echtem Interesse, mal mit besorgtem oder drohendem Unterton. Auch öffentlich wird Ursachenforschung betrieben. Die einen reden von der Abwertung der Hausfrauen- und Mutterrolle durch die bösen Feministinnen, die anderen weisen darauf hin, dass fehlende Betreuungseinrichtungen und mangelnde Beteiligung von Männern an der Erziehungsarbeit nicht gerade Lust aufs Kinderkriegen machen. So richtig es ist, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen zu thematisieren, paradoxerweise wird dadurch unbeabsichtigt die Wahrnehmung verstärkt, Frauen ohne Kinder seien eine erklärungsbedürftige Anomalie, der abgeholfen werden kann, wenn man nur die Ursachen dieser Abnormität findet und beseitigt. Dadurch entsteht der Eindruck, alle Frauen hätten gern Kinder, wenn nur die widrigen Umstände nicht wären, ein wenig so, als würde man die Homosexualität eines Mannes damit erklären, dass er nur noch nicht die richtige Frau gefunden hat. Die Existenz und die Interessen kinderfreier Frauen tauchen in der Wahrnehmung nicht auf.
    Bei allen weltanschaulichen Differenzen wird das Prinzip Familienförderung an sich nicht infrage gestellt. Da ist man sich einig: Eine familienfreundliche Politik, wie auch immer der Einzelne sie für sich definiert, ist richtig und wichtig. Es scheint, als sei dies der eine Punkt, auf den sich alle, Junge wie Alte, Rechte wie Linke, Atheisten wie Katholiken, Opernliebhaber und Techno-Freaks, St.-Pauli- und Bayern-München-Fans, verständigen können: Elternschaft muss gefördert, Eltern müssen unterstützt werden. Eine solch seltene Eintracht ist kein Zufall; ebenso wie die Beurteilung der Kinderfreiheit als egoistisch, zumindest aber als rechtfertigungsbedürftig, und die Verknüpfung von Weiblichkeit mit der Mutterrolle es sind. Die Einmütigkeit ist vielmehr Ausdruck einer pronatalistischen Kultur, die so viele Bereiche des Lebens durchdringt und so tief verankert ist, dass sie den meisten von uns nicht einmal bewusst ist. Unter Pronatalismus versteht man eine Haltung oder Politik, die Fortpflanzung ermutigt und Elternschaft verherrlicht. Pronatalismus ist in vielen Kulturen und Gesellschaften vorherrschend, mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt. Dabei ist er aber keinesfalls auf patriarchalische Gesellschaften beschränkt, sondern tritt auch in vielen modernen Gesellschaften auf, in denen »Gleichberechtigung der Frau« kein Fremdwort ist. So auch in Deutschland, denn die bloße Tatsache einer niedrigen Geburtenrate ist mitnichten ein Anzeichen für eine »elternfeindliche« Kultur, auch wenn dies immer wieder gern behauptet wird.
    Der Pronatalismus äußert sich auf vielfältige Weise. Am offensichtlichsten tritt er in den Maßnahmen zutage, die in den vorherigen Kapiteln angesprochen wurden: politische Instrumente, die auf Geburtenförderung ausgerichtet sind oder Belohnungscharakter haben wie Elterngeld bzw. Elternzeit bei gleichzeitigem Fehlen einer entsprechenden Regelung etwa für Menschen, die kranke oder alte Familienangehörige pflegen. Ferner sind Steuerermäßigungen für Eltern oder Kindergeld klassische Merkmale einer pronatalistischen Politik. Auch die finanzielle Förderung von künstlichen Befruchtungen, nicht jedoch von Verhütungsmitteln oder Sterilisationen gehört dazu, ebenso die Erleichterung künstlicher Befruchtungen im Vergleich zu Adoptionen. Die

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