Kinderfrei
Ein rührendes Bekenntnis, wofür ihre Mutter trotz aller Sorge Verständnis hat – und auch der Zuschauer Verständnis haben soll. Zwar verlaufen Schwangerschaft und Geburt erfolgreich, ein Jahr später bricht Shelby jedoch mit Nierenversagen zusammen. Die Spenderniere ihrer Mutter stößt der Körper ab. Shelby fällt ins Koma, aus dem sie nicht mehr erwachen wird, sodass die lebenserhaltenden Maschinen abgestellt werden. Als einige Zeit später eine andere Frau aus dem Zirkel der »Magnolien aus Stahl« schwanger wird, beschließt sie mit Einverständnis von Shelbys Mutter, ihr Kind unabhängig vom Geschlecht auf den Namen Shelby zu taufen.
Nicht nur dieses versöhnliche Ende, sondern die gesamte Handlung des Films sowie dessen Rezeption verklären eine Frau, die aus den denkbar selbstsüchtigsten, eitelsten Motiven heraus in Kauf genommen hat, ihrer Mutter die Tochter und ihrem Ehemann die Frau zu rauben und nicht zuletzt das ihr angeblich so wichtige Kind dazu zu verurteilen, ohne Mutter aufzuwachsen. Die Subbotschaft, der Tod einer Frau sei zwar traurig, werde aber letztlich dadurch aufgewogen, dass sie einen wundervollen neuen Menschen auf die Welt gebracht hat, in dem sie »weiterlebt«, macht die Sache nur noch gruseliger. Vor allem wenn man bedenkt, dass mittlerweile in einigen Ländern der Welt nicht nur die Abtreibung auch bei einer Lebensgefahr für die Frau verboten ist, sondern dass Schwangeren sogar lebenswichtige Medikamente oder medizinische Behandlungen verweigert werden, wenn dadurch der Fötus gefährdet wird.
Auch das unreflektierte Feiern später Mutterschaft als Zeichen von Frauenpower gehört zu diesem fragwürdigen Kulturphänomen dazu. So wurde die Rocksängerin Gianna Nannini mit 54 Jahren im November 2010 Mutter einer Tochter. Die hochschwangere Nannini brachte es zuvor in einem T-Shirt mit der Aufschrift »God is a woman« auf die Titelseite der italienischen Vanity Fair . Unter ebendiesem Foto und der Überschrift »Mamma Nannini« berichtete sodann die Frauenzeitschrift Emma in wohlwollendem Ton, dass Gianna Nanninis erste (!) Tochter per Kaiserschnitt zur Welt kam und Mamma Gianna wohlauf und überglücklich sei. 55
› Hinweis
Von den Nachteilen einer solchen Risikoschwangerschaft und der erheblichen Altersdifferenz zwischen Mutter und Kind ist keine Rede.
Gerade in Deutschland nimmt die pronatalistische Kultur mitunter hysterische Züge an, und zwar dann, wenn aus der simplen Tatsache, dass ein Gastronom oder Hotelier beschließt, sein Angebot auf Erwachsene und ältere Kinder zu beschränken, ein medialer Aufreger konstruiert wird. So sorgte ein Wirt aus Kraiburg 2007 für Empörung, weil er sich durch Mütter, die ihre Säuglinge am Tisch wickelten, Kinder, die Einrichtungsgegenstände beschädigten oder laut kreischend herumtobten, und Eltern, die sich trotz entsprechender Bitten des Wirts weigerten einzugreifen, veranlasst sah, im Interesse seiner anderen Gäste Kindern unter 12 Jahren künftig den Zutritt zu verbieten. Der bayerische Hotel- und Gaststättenverband hatte »keinerlei Verständnis« und hielt das Vorgehen für einen Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz, als »skandalös« bezeichnete es die bayerische Sozialministerin, und das Gästebuch des Wirts wurde mit beleidigenden und hasserfüllten Kommentaren überschwemmt. Und natürlich wurde prompt eine Zeitungskampagne geschaltet, in der sich zahlreiche Wirte uneingeschränkt für Kinder in der Gastronomie aussprachen. Selbst das Deutsche Kinderhilfswerk fühlte sich bemüßigt, einen verurteilenden Kommentar abzugeben. Immerhin ein positives Zeichen, denn um das Wohlergehen der Kinder in Deutschland muss es hervorragend bestellt sein, wenn man Zeit und Energie findet, sich über eine derartige Lappalie zu entrüsten. Auch der Besitzer eines Hotels im Salzkammergut erregte mit seiner Entscheidung, eine Altersgrenze von 12 Jahren einzuführen, die Gemüter, obwohl, wie er sagt, die Reaktionen zu 85% positiv waren: Auch Eltern brauchen schließlich einmal Urlaub.
Die Aufregung ist umso unverständlicher, als es umgekehrt etliche Unterhaltungsangebote, gastronomische und touristische Angebote gibt, die sich speziell an Familien mit kleinen Kindern richten, und unzählige Örtlichkeiten, die keinerlei Präferenzen aufweisen, sondern ein bunt gemischtes Publikum ansprechen. Schließlich ärgern sich schlanke Menschen ja auch nicht über die wenigen Geschäfte, die sich ausschließlich auf Mode für Mollige
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