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Kindermund (German Edition)

Kindermund (German Edition)

Titel: Kindermund (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pola Kinski
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Tante ein, sie müsse ihm unbedingt Geld leihen. Ich kann nicht mehr länger zuhören. Die Müdigkeit gewinnt, mein Oberkörper rutscht auf die Tischplatte.
    Rotraut weckt mich, schiebt ihren Arm unter meinen, bringt mich ins Bett. Als sie meine verdreckten Fußsohlen entdeckt, schreit sie kurz und spitz auf. Dann breitet sie eine Decke aus Moos und Erde über mich: warm und schwer. Ich fühle mich geborgen bei ihr.
    Ein Wildschwein verfolgt mich, kommt näher, wirft mich um, fällt über mich her, reißt Stücke aus meinem Fleisch.Hände zwischen meinen Schenkeln, Finger bohren sich tief in mein Inneres. Eine Zunge verstopft meine Ohren. Mit all meiner Kraft stoße ich das Wildschwein von mir, springe aus dem Bett, in Todesangst jage ich aus dem Zimmer, stürze zu meiner Tante ins Bett. Sofort sitzt sie aufrecht und hellwach. Meine Zähne schlagen aufeinander, ich beiße mir auf die Lippe. Das Blut schmeckt nach Metall. Mein Körper wird geschüttelt wie im Fieber. »Herzilein, du hast schlecht geträumt! Schlaf bei mir!« Sie drückt mich an ihren großen Busen.
    Eigentlich ist es ja toll! Ich muss nicht zur Schule gehen, darf nach Rom brausen in einem schnellen Auto. Mein Vater hat das Verdeck geöffnet, der Wind nimmt mir den Atem.
    Wir haben den Brenner schon weit hinter uns gelassen und fahren gerade an einer grausigen Unfallstelle vorbei, aber er nimmt den Fuß nicht vom Gas. Ich spüre meine linke Hand nicht mehr, sie ist taub, seit Stunden steckt sie in seiner Hand wie in einem Schraubstock fest. Er denkt nicht daran, sie loszulassen. Hoffentlich komme ich jemals wieder zurück zu meiner Mama! Die Hand, die mir bleibt, verkrampfe ich zur Faust, heimlich, er darf nichts merken.
    Langsam wird es richtig heiß, wir sind kurz vor Rom. Seine Hand liegt mittlerweile auf meinem Knie. Manchmal rutscht sie höher. Ich habe Durst, aber ich sage lieber nichts.
    Erst als wir den Fahrstuhl betreten, sagt er mir, dass wir ganz allein in der Wohnung sind. Biggi und Nastassja sind nach Capri vorausgefahren. Mein Blut rast heiß durch die Adern, ich bekomme keine Luft! Türen öffnen sich. Die Wohnung duftet nach Maiglöckchen, die Frühlingssonne macht sie noch schöner. Der Vatikan liegt friedlich da, die Kuppel des Petersdoms glänzt. Angst krallt sich tief in meinen Nacken. Mein Bauch krampft. Es wird immer schlimmer. Mein Vater steckt mir eine Tablette zwischen die Lippen, reicht mir ein Glas Wasser, beobachtet mich. Ich spiele ihm vor,dass ich sie runterschlucke. Er wendet sich zufrieden ab, ich spucke die aufgeweichte Pille aus.
    Am Abend krümme ich mich vor Schmerzen, ich habe Angst zu sterben. Mein Vater fährt mich ins Krankenhaus. Er befürchtet, es könnte eine Blinddarmentzündung sein. Nach gründlicher Untersuchung darf ich wieder gehen: alles in Ordnung! Ich fühle mich wie neugeboren, will nur schlafen, schlafen. Glücklich, weil ich nicht sterben muss, wühle ich mich tief in die Kissen. Selbstverständlich schlafen wir im Bett meines Vaters.
    Das Prinzenpaar des Rattenstaats feiert Hochzeit. Es steht hoch oben auf der Treppe des Palastes, winkt seinem Volk, alle sind sie gekommen. Auch meine Mutter lässt sich dieses Ereignis nicht entgehen. Sie weint immer bei solchen Anlässen. Ich entdecke sie und ihre Schwestern in der Menge. Die Rattenbraut kichert ständig. Ihr Schleier aus flüssigem, rosafarbenem Gummi fließt über die Treppe hinunter, wickelt sich um meinen Körper, wird hart, ich kann mich nicht bewegen.
    Die Hände meines Vaters fesseln mich, er drückt sich von hinten an mich, immer enger, schiebt einen Arm zwischen meinen Pobacken nach vorne. Mit einem Ruck schüttle ich ihn ab: »Ich will nicht!« Stille. Es knistert. Das Bett wackelt, er erhebt sich. Sein Schatten schleicht die Wand entlang, gebückt. Jetzt sehe ich seine Umrisse am Fenster. Aufrecht, die Arme verschränkt, den Kopf nach hinten gebogen: »Was soll das heißen, du willst nicht?!«
    »Ich will nicht, ich will nicht, es tut mir weh!«
    »Bist du blöd! Hier in Italien, überall auf der Welt ist es völlig normal! Nur in diesem spießigen Deutschland, in dem du lebst, zicken sie rum! Du darfst nur nie in deinem Leben ein Wort darüber verlieren, hörst du, niemals, zu niemandem!« Ich nicke. »Jetzt mach nicht so ein Theater! Es gibt doch nichts Schöneres, mein Engelchen!«
    »Nein, nein, ich kann nicht!«, schreie ich. Im Mondlicht sehe ich seine Nasenflügel zittern, die Lippe zuckt gefährlich. Ich drehe mich zur Wand,

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