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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und ihre Gleichgültigkeit vor dem, was kommen würde. »Der Artikel über das Kind, das man ausgesetzt vor der Kinderklinik ›Bethlehem‹ fand? Es war ein Mädchen, ein paar Tage alt, genau vier Tage … und nie fand man die Eltern, bis heute nicht.«
    »Ich weiß. Eine Schande. Eine entmenschte Mutter –«
    »Vielleicht hatte sie Angst –«
    »Es gibt keine Angst, die so groß sein kann, daß man sein eigen Fleisch und Blut aussetzt.«
    »Das sagst du? Wenn es nun die Angst vor dem eigenen Vater war?«
    »So etwas gibt es nicht.« Ernst Bergmann schüttete das Glas mit Bier wieder randvoll. »Diese Mutter ist in meinen Augen eine Mörderin.«
    »Sie war nur verzweifelt, Vater.« Und plötzlich schrie sie, ballte die Fäuste und hob sie hoch empor. »Am Ende war sie wahnsinnig vor Angst … und sie hat das Kind weggegeben, weil sie einen Tyrannen als Vater hat! Ich habe es weggegeben, mein Kind habe ich vor die Tür von ›Bethlehem‹ gelegt, ich bin die Mörderin in deinen Augen! Es ist mein Kind, mein Kind, mein Kind –«
    Sie sank zusammen, fiel auf den Stuhl und schlug mit der Stirn gegen die Wand.
    Ernst Bergmann saß erstarrt vor seinem Bier und stierte ins Leere. Er begriff es noch nicht … er verstand nur, daß seine Tochter Julia schrie, daß sie sich anklagte, ein Kind ausgesetzt zu haben, daß sie den Verstand verloren hatte, ganz plötzlich, von einer Minute zur anderen. Ein furchtbares Ereignis, das Ernst Bergmann noch nicht begreifen konnte, gegen das er sich innerlich sträubte, auflehnte und abschloß. Julia ist wahnsinnig geworden … so etwas gab es doch nicht.
    »Dein Kind –«, sagte er heiser und wunderte sich, daß er überhaupt sprechen konnte. »Aber wieso denn?«
    »Ich habe es geboren, hier in der Wohnung, in meinem Zimmer, auf dem schmalen Bett, in dem Mutter gelegen hat –«
    »Aber wieso denn?« stammelte Ernst Bergmann. Langsam, ganz langsam begriff er. »Wann denn?«
    »Als du im Krankenhaus warst, Vater.«
    »Ich … ich habe doch nie etwas bemerkt … Ich –«
    »Ich habe immer ein strammes Korsett getragen, Vater.«
    »Und wer … wer ist der Mann?«
    »Franz –«
    Ernst Bergmann saß wie ein Holzklotz. Es blieb alles aus, was Julia befürchtet hatte. Er tobte nicht. Er schlug nicht. Er bekam keinen Herzschlag. Er saß bloß da, stumm, wie gelähmt, wie aus Wachs gegossen.
    »So sag doch etwas, Vater!« schrie Julia. Auf der Stirn, mit der sie gegen die Wand geschlagen war, bildete sich ein roter Fleck. Wie ein Kainszeichen sah es aus. »Sitz doch nicht so schrecklich stumm herum! Schlag mich doch! Wirf mich hinaus! Nenn mich eine Hure! Verfluche mich! Nur sprich, Vater, sprich ein Wort –«
    »Was soll ich denn sagen?« murmelte Ernst Bergmann.
    »Ich habe ein Kind!« schrie Julia schrill. »Begreifst du das nicht?«
    »Doch, doch – ich begreife es.« Er griff zum Bier, trank das ganze Glas in einem Zug aus, setzte es auf den Tisch, wischte sich den Mund und starrte wieder ins Leere. »Ein Kind. Dein Kind. Mein Enkelkind. Ein Mädchen. O Gott –«
    Es war die erste seelische Regung. Er zuckte zusammen und wandte sich zu Julia um.
    »Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?« fragte er dumpf.
    »Du weiß es doch, Vater.«
    »Bin ich denn ein Unmensch?«
    »Bei Franz warst du es.«
    »Warum hast du nie versucht, mir zu vertrauen?«
    »Damals hättest du uns aus dem Haus geprügelt.«
    Der alte Bergmann schwieg. Er drehte sich wieder um und sah in das Zimmer hinein. Stück für Stück setzte sich jetzt in ihm das Bild der Wirklichkeit zusammen.
    Julia hat ein Kind.
    Von Franz Höllerer.
    Sie hat es ausgesetzt.
    Also haben wir kein Kind.
    Aber es ist da, und wenn wir den Mund aufmachen, wird Julia ins Gefängnis gehen müssen. Meine Tochter im Gefängnis. Das bedeutete auch den beruflichen Tod des Buchhalters und Steuerhelfers Bergmann.
    Es gab also kein Zurück mehr … es gab nur ein Vorwärts.
    »Wo ist das Kind jetzt?« fragte Ernst Bergmann leise.
    »Noch in der Klinik ›Bethlehem‹, Vater.«
    »Du weißt es genau?«
    »Ja. Ich wollte es besuchen. Aber da war es krank.«
    »Krank?« Bergmann fuhr herum. »Mein Enkelkind ist krank?«
    »Lungenentzündung –«
    »Weil sie nicht aufpassen in der Klinik. Weil die Weiber zum Lüften immer die Fenster aufreißen. Und dann strampeln sich die Kleinen los, und schon ist's passiert.« Bergmann sprang auf, der Stuhl stürzte hinter ihm um. »Das Kind muß aus der Klinik! Sofort! Das Kind gehört hierher! Mein Enkelkind

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