Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
war das bloß? Wo hatte er dieses Mädchen gesprochen?
    »Können wir das Kind jetzt sehen?« sagte Bergmann forsch. Er war ungeduldig. Mein Enkelkind, dachte er. Ich bin Opa. Ich kann noch erleben, wie eine neue Generation aufwächst. Ob es wirklich etwas Ähnlichkeit mit mir hat?
    »Sofort.« Wollenreiter schob das energische Kinn vor. Wenn er jetzt den Hydrocephalus sieht, fällt er um, dachte er schadenfroh. »Zimmer 4. Ich begleite Sie.«
    Sein schöner Plan wurde in diesem Augenblick zunichte gemacht. Aus dem Lastenaufzug trat Oberarzt Dr. Julius und kam auf die kleine Gruppe zu. Sein Gesicht verzog sich zu einem sonnigen Lächeln, als er die verblüffte und enttäuschte Miene Wollenreiters bemerkte.
    »Ich schließe mich an«, sagte Dr. Julius fröhlich.
    »Aber Sie kennen das Kind doch, Herr Oberarzt«, versuchte Wollenreiter eine leise Abwehr. Dr. Julius nickte.
    »Eben, weil ich es kenne, will ich mit. Und ich kenne auch Sie, mein Lieber.«
    Wollenreiter seufzte. »Sie sind kein guter Kamerad –«, flüsterte er Julius zu, als er an ihm vorbeiging. »Man kann die Korrektheit auch übertreiben.« Und laut sagte er zu Ernst Bergmann: »Ich habe mich geirrt. Maria Ignotus liegt auf Nr. 10. Darf ich bitten?«
    Je näher sie der Tür mit dem schwarzen Nummernschild 10 kamen, um so schwerer wurden Bergmanns Beine. Die letzten Meter hakte er sich bei seiner Tochter unter, und auch Julia preßte sich eng an ihren Vater.
    Wollenreiter ging voraus. Aber er kam sofort zurück und schloß die Tür.
    »Es schläft –«, sagte er leise.
    Das war der letzte Versuch, der allerletzte verzweifelte. Aber Oberarzt Dr. Julius schüttelte den Kopf.
    »Säuglinge schlafen viel, das wissen wir ja. Wir brauchen das Kind ja nicht aufzuwecken … aber ansehen ist möglich.«
    »Bitte!« Wollenreiter klinkte distinguiert die Tür wieder auf. Der Blick, den er Julius zuwarf, war wie vergiftet. Julius lächelte und klopfte dem Stationsarzt die Schulter.
    »Machen Sie kein Menkenke, Wollenreiter«, sagte er leise, bevor er Julia und Bergmann ins Zimmer folgte. »Was wollen Sie denn mit einem Säugling?«
    Stumm, Hand in Hand, standen Julia und ihr Vater vor einem kleinen, weißen Gitterbettchen. Wie verloren lag auf dem flachen Kissen, unter einer weiß bezogenen Wolldecke, das Köpfchen mit den spärlichen Haaren zur Seite, das Mündchen etwas geöffnet. Maria Ignotus. Es hatte die Händchen zu Fäusten geballt, und ab und zu zuckte die kleine Stubsnase im Schlaf, als sitze eine Fliege darauf. Der Atem war tief und regelmäßig. Es sah rosig aus, wie aus Marzipan.
    Ernst Bergmann rang mit seiner Fassung. So etwas Wundervolles hat meine Julia geboren, dachte er. So einem Engel gab sie das Leben. Und sie setzte es aus, warf es weg, konnte sich von ihm trennen, für alle Zeiten, weil sie Angst hatte. Angst vor mir! Vor mir!
    Das war ein Gedanke, der ihn fast zerriß. Er drückte das Kinn an den Kragen, schluckte krampfhaft und sagte dann, nur um zu zeigen, wie stark er sei und wie wenig beeindruckt:
    »Nicht mal ein Plumeau hat das Kind.«
    »Säuglinge dürfen nicht so dick zugedeckt werden«, flüsterte Julia. »Sie können sonst ersticken.«
    »Ach so –«
    Ernst Bergmann beugte sich über das Bettchen. Als müsse er mit seinen Augen jeden Zentimeter des Gesichtchens fotografieren, tastete er mit seinem Blick das im Schlaf rosige Köpfchen ab. Wollenreiter und Julius, die an der Tür stehengeblieben waren, warteten geduldig.
    »Widerlich, so etwas«, flüsterte Wollenreiter voller Gift und Galle. »So ein alter Knopp! Was will er mit dem Kind? Daß das Jugendamt so etwas zuläßt? Man hat mir gesagt, daß nur junge Ehepaare mit nachweislicher Kinderlosigkeit Säuglinge adoptieren können.«
    »Herr Bergmann macht einen soliden Eindruck. Maria Ignotus wird es bei ihm gut haben. Ich habe vorhin das Jugendamt angerufen. Sie kennen Bergmann.«
    Julia wagte nicht, näher an das Bett zu treten oder sich gar wie ihr Vater darüberzubeugen. Sie wußte, daß sie sich verraten würde, daß sie nicht mehr die Kraft aufbringen würde, wie eine Fremde auf ihr Kind zu sehen. Es zuckte ihr in den Fingern, das Kind an sich zu reißen, zu herzen und zu küssen und zu schreien: »Ich bin die Mutter! Ich! Macht mit mir was ihr wollt … aber jetzt gebe ich es nicht wieder her!«
    Um das zu verhindern, blieb sie in einiger Entfernung stehen und überließ es ihrem Vater allein, seine großväterlichen Gefühle zu entwickeln. Sie wußte nur eins: Alle

Weitere Kostenlose Bücher