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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gehört –«
    Er schwieg plötzlich. Die Situation wurde ihm wieder klar. Für Maria Ignotus gab es weder Vater noch Mutter, noch einen Großvater. Es war ein Findling, ein moderner Kaspar Hauser.
    »Wie konntest du nur so etwas tun …« stotterte Bergmann erschüttert. »Meine Tochter setzt ihr Kind aus …«
    »Mich trifft keine Schuld, Vater.«
    Das war deutlich. Ernst Bergmann verließ stumm den Wohnraum und schloß sich in sein Schlafzimmer ein. Erst nach einer Stunde kam er wieder heraus. Julia saß auf dem Sofa, bleich wie ein Leinentuch, die Hände gefaltet.
    »Wir fahren morgen in die Klinik«, sagte Ernst Bergmann ruhig. Etwas Väterliches, nein Großväterliches strahlte von ihm aus, eine fremde Herzlichkeit, die Julia sprachlos machte. »Hörst du – ich sehe mir mein Enkelkind an.«
    »Ja, Vater«, stammelte Julia.
    »Wir werden hingehen unter dem Vorwand, das Kind zu adoptieren. Ich habe mir alles genau überlegt.«
    »Ja, Vater.«
    »Und diesen Franz Höllerer bringst du mir morgen hierher. Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als ihn in meinem Hause aufzunehmen.«
    »Ja, Vater.«
    Bergmann schüttelte den Kopf. »Himmel noch mal, kannst du nichts mehr anderes sagen als das dumme ›Ja, Vater‹?«
    »Doch, Vater …« Julia schluckte und breitete die Arme aus. »Ich bin so glücklich … ich habe den besten Vater der Welt –«
    Das war ein Augenblick, in dem sich Ernst Bergmann schrecklich erbärmlich vorkam.
    Dr. Wollenreiter war in einer Panikstimmung. Er rannte auf dem Flur seiner Station hin und her, stieß die Schwestern an, gab unsachliche Antworten auf sachliche Fragen und brüllte sogar einmal die Oberschwester an: »Lassen Sie mich doch in Ruhe mit ihren Pißfragen! Wadenwickel? Muß ich mich hier um jeden quersitzenden Furz kümmern?«
    Die Station erstarrte in Opposition und Beleidigtsein. Grund der Ausfälle Dr. Wollenreiters war ein Anruf von Oberarzt Dr. Julius aus dessen Sprechzimmer.
    »Hier sitzt ein Herr«, hatte er gesagt, »der gerne unsere Ignotus adoptieren will. Er hat sogar schon mit dem Jugendamt gesprochen. Ich schicke ihn gleich zu Ihnen, damit er sich die Kleine ansehen kann.«
    »Lassen Sie ihn oben, Herr Oberarzt!« hatte Wollenreiter zurückgebellt. »Ich drehe dem Mann den Hals um! Wer ist es denn?«
    »Ein Herr Bergmann. Buchhalter und Steuerhelfer!«
    »Das Wort Steuer allein genügt, einen Mord zu begehen!«
    »Seien Sie nicht kindisch, Wollenreiter.« Dr. Julius hatte gelacht. »Es ist auch im Sinne des Chefs, daß Maria Ignotus in gute Hände kommt.«
    Klick. Aus. Dr. Wollenreiter feuerte den Hörer auf die Gabel zurück.
    Laß ihn kommen, diesen Buchhalter, dachte er bitter. Ich werde ihm ein anderes Kind zeigen. Ein Kind mit einem Hydrocephalus. Wenn er den kürbisähnlichen Kopf sieht, wird ihm die Adoption vergehen. Maria Ignotus bekommt er nicht. Nie! Ich lasse sie mir nicht nehmen –
    Voll großer, innerer Erregung fuhr Ernst Bergmann mit dem Fahrstuhl hinunter zur Station Dr. Wollenreiter. Julia neben ihm wirkte blaß und schmal, fast selbst wie ein Kind, das man an der Hand nehmen mußte, um es gleich der Schwester abzuliefern.
    »In fünf Minuten werde ich mein Enkelkind sehen«, sagte Bergmann, während er hinabglitt in der nach Sagrotan riechenden Kabine. »Ich wette Julia, daß es auch mir ähnlich sieht –«
    An der Fahrstuhltür wartete bereits Dr. Wollenreiter auf den unliebsamen Besuch. Als er Julia sah, stutzte er und suchte in seiner Erinnerung. Die kenne ich doch, dachte er. Irgendwo habe ich sie schon gesehen. Und zwar hier in der Klinik. Aber wann und wo?
    Da Wochen zwischen dem ersten Besuch Julias und ihrem zweiten Versuch, das Kind zu sehen, lagen, kam Wollenreiter zu keinem anderen Ergebnis, als daß ihm die junge Dame bekannt sei.
    Julia dagegen erkannte Dr. Wollenreiter sofort. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, sie biß die Lippen aufeinander und wartete darauf, daß der sie kritisch musternde Arzt ihren ersten heimlichen Besuch ansprach. Statt dessen fragte Wollenreiter:
    »Ich weiß nicht, aber wir kennen uns, gnädige Frau. Hatten Sie nicht ein Kind bei uns in der Klinik?«
    »Nein!« antwortete Ernst Bergmann laut, ehe sich Julia zu einer Antwort bereit fand. »Meine Tochter ist noch unverheiratet –«
    »Das schließt nicht aus –«
    »Ich bitte Sie!« Bergmann sah den Arzt strafend an. »Es handelt sich um meine Tochter, Herr Doktor!«
    »Gewiß!« Dr. Wollenreiter schüttelte leicht den Kopf. Diese Ähnlichkeit. Wo

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