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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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habe es dann aufgesteckt, weil's mir zu lange dauerte. Man soll nicht meinen, was für Probleme in einem solch verhältnismäßig kleinen Körperteil wie im Kopf stecken.«
    »Wieso Kopf?« fragte Karchow irritiert.
    »Ich wollte mich für Neurochirurgie spezialisieren.«
    »Wollenreiter! Das weiß ich ja gar nicht!« Prof. Karchows Gesicht glänzte wie mit Speck eingerieben. »Sie haben Neurochirurgie –«
    »Bei Professor Lynck, jawohl.«
    »Eine Kapazität! Wollenreiter, Sie sind mein Mann! Sie können Dr. Julius unterstützen. Ich gebe Ihnen den Auftrag bis Mitte des nächsten Jahres sich mit der Trennung unserer Siamesen zu beschäftigen. Julius ist da äußerst vorsichtig, ich meine, zu vorsichtig. Die Zusammenwachsung ist nur ein kleiner Steg. Natürlich brauchen wir Hirnschalen zur Defektdeckung, aber die bekommen wir schon.«
    »Und welche Funktionen haben die beiden Kinder durch diesen Steg gemeinsam?«
    »Das wird sich noch herausstellen. Auf jeden Fall, lieber Wollenreiter, beschäftigen Sie sich mal damit –«
    Dr. Wollenreiter sah dem Chef nachdenklich nach. ›Lieber‹ Wollenreiter hatte er gesagt … wenn Karchow so sprach, war es immer gefährlich. Ruhig leben kann man in einer Klinik nur, wenn man außerhalb des Blickfeldes des Chefs ist. Hat der Chef einen erst einmal bemerkt, sei es im schlechten oder noch fataler im guten Sinne, dann ist es mit der Ruhe vorbei.
    Wollenreiter tat das einzig Richtige: Er ging sofort zu Oberarzt Dr. Julius und erzählte ihm alles. Dr. Julius seufzte.
    »Vor zwei Jahren nicht«, wiederholte er seine alte These. »Wollen Sie die Verantwortung übernehmen?«
    »Ich denke nicht daran.« Wollenreiter hob die Hände. »Ich fühle mich wohl als Stationsheini. In drei Jahren mache ich meine eigene Praxis auf, wenn alles gutgeht. Ein Onkel will mir die Einrichtung bezahlen. ›Gute Kinderärzte soll man fördern‹, sagte er. Onkel Leopold hat allen Grund, so zu denken – er hat drei außereheliche Kinder.«
    Dr. Julius lachte. Typisch Wollenreiter.
    »Und was machen wir nun?« fragte er.
    »Wir wurschteln herum, Herr Oberarzt. Wir tun so, als zerrissen wir uns im Forscherwahn. Und warten ab, bis Sie den Startschuß geben. Karchow wird die Siamesen nie an andere Kollegen abgeben … die Trennung muß in ›Bethlehem‹ erfolgen. Großer Bericht: Aus der Klinik Prof. Dr. Karchow –« Dr. Wollenreiter nahm eine Zigarette, die ihm Julius anbot. »Glauben Sie, daß es gelingt, diese Trennung?«
    »Wenn man mir Zeit genug läßt … ja.«
    Eine klare Antwort. Wollenreiter fragte nicht weiter, er hatte unbedingtes Vertrauen zu Dr. Julius.
    So standen die Dinge in der Klinik ›Bethlehem‹, als Julia Bergmann zusammenbrach.
    Es war kein plötzlicher Zusammenbruch und auch kein körperlicher. Sie hatte einfach nicht mehr die innere Kraft dazu, zu ertragen, daß ihr Kind, als elternloser Findling mit dem Namen Maria Ignotus dem Wohlwollen Fremder ausgesetzt, in einem Krankenhaus lag und sie keine Möglichkeit hatte, es zu sehen, es auf den Arm zu nehmen, mit ihm zu sprechen, zu spielen, die kleinen, dicken, warmen Fingerchen in die Hand zu nehmen, sein Lachen zu hören, sein Weinen, die glatte, nach Pfirsich riechende Säuglingshaut zu riechen und neben ihm zu schlafen und auf die tiefen, seligen Atemzüge zu lauschen.
    In den ersten Wochen war es weniger schlimm gewesen, da hatte sie noch genug mit sich selbst zu tun. Ihre Brüste waren prall geworden und vermißten den schmatzenden Säuglingsmund. Damit die Milch nicht durch das Kleid näßte, legte sie einige Lagen Zellstoff in den Büstenhalter. Viermal am Tag mußte sie sich auf der Toilette des Cafés › Bornmeyer‹ einschließen und mit einer Pumpe aus Glas die Milch absaugen. Einen Tag versäumte sie es einmal, bewußt, um zu sehen, ob es dann am nächsten Tag vielleicht wegbliebe … aber in der Nacht erwachte sie vor wahnsinnigen Schmerzen, ihre Brüste schienen zu zerspringen, Übelkeit überfiel sie und ein Zittern wie Fieberschauer … da legte sie den gläsernen Apparat wieder an, und das ganze Elend ihrer heimlichen Schande, ihres schrecklichen Tuns, ihrer unauslöschbaren Schuld kam wieder über sie.
    Dann, nach einigen Wochen, ließ es nach und verschwand dann völlig. Um so mehr aber wuchs in ihr die Sehnsucht nach dem Band, breitete sich in ihr ein Muttergefühl aus, das so hemmungslos wurde, daß sie an jeden Kinderwagen herantrat, hineinblickte, die kleinen, runden, süßen Köpfchen anstarrte und dann

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