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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Angst war vergebens gewesen, völlig sinnlos. Ernst Bergmann würde sich jetzt nie mehr von diesem Kinde trennen.
    Ja, er würde seine eigene Tochter ins Gefängnis gehen lassen, damit sie ihre Schuld abbüßte, aber Maria Ignotus gab er nicht mehr aus der Hand.
    Die Verwandlung Bergmanns war vollkommen. Als er sich aufrichtete und zu Julia zurücktrat, glänzten seine Augen.
    »Es hat meine Ohren –«, flüsterte er ihr zu. »Sieh dir das an … genau meine Ohren …« Auf Zehenspitzen ging er zurück zur Tür zu den beiden wartenden Ärzten und blinzelte ihnen zu. »Ein schönes Kind. Ich werde mich so schnell wie möglich um die Adoption bemühen. Ich danke Ihnen, meine Herren, daß Sie einem alten Mann noch eine solch große Freude bereiten.«
    »Es ist eine Schicksalsfügung, Herr Bergmann.« Dr. Julius stieß Wollenreiter in die Rippen, der ebenfalls etwas sagen wollte. Verbissen schwieg er darauf. »Uns wäre es lieber gewesen, die richtige Mutter hätte sich gemeldet –«
    Julia tastete nach der Hand ihres Vaters. Bergmann begriff, was seine Tochter in diesen Minuten durchmachte. Er zog sie aus dem Zimmer auf den Flur, Wollenreiter schloß leise die Tür.
    »Wie lange wird so ein Adoptionsverfahren dauern?« fragte Bergmann mit belegter Stimme. »Sie haben doch da einige Erfahrung, Herr Doktor?«
    »Sehr lange«, brummte Wollenreiter.
    »Das kommt darauf an«, milderte Dr. Julius ab. »Wenn das Kind gesund ist –«
    »Es leidet noch unter den Nachwirkungen der Pneumonie«, fiel Wollenreiter wieder ein.
    »Das kenne ich.« Bergmann nickte. »So etwas nimmt ja einen Erwachsenen schon mit, geschweige so ein zartes Kindchen. Sicherlich waren die Fenster wieder auf, wie immer in den Krankenzimmern –«
    Wollenreiter verstand diesen Angriff. »Nein«, sagte er grob. »Aber wenn man ein Kind im Herbst auf die Erde vor eine Tür legt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn es niest.«
    Julia senkte tief den Kopf und schwieg. Bergmann suchte nach neuen Worten, auch ihn ergriff das Schicksal seiner Enkeltochter maßlos. Sie muß sofort zu uns, dachte er. Sofort! Es darf nicht länger gezögert werden! Hier kann man nicht abwarten, bis der Beamtenweg heruntergeschneckt ist, hier muß man handeln.
    Er war sich im klaren, daß er jetzt begann, kriminell zu denken. Aber das schreckte ihn nicht mehr. Die Wandlung des stillen, korrekten Buchhalters Bergmann war vollkommen. Es war, als sei von ihm bloß die äußere Hülle geblieben, aber alles im Inneren ausgewechselt worden.
    »Normal dauert es auch lange, nicht wahr?« fragte er noch einmal.
    »Mit einigen Wochen muß man schon rechnen.«
    »Und es liegen Masern in der Luft«, fügte Wollenreiter grausam hinzu. »Wir bekommen seit drei Wochen lauter Masernfälle ins Haus. Bei epidemischen Erkrankungen entlassen wir keine Kinder, schon gar nicht Säuglinge –«
    Oberarzt Dr. Julius schwieg und lächelte nur. Wollenreiter kämpft wie eine Tigerin um ihr Junges. Er zerfleischt alles, was in seine Nähe kommt. Aber es wird aussichtslos sein … auch Prof. Karchow ist gewillt, Maria Ignotus in gute Hände zu geben. Ohne Aufsehen möglichst. Die Sache mit Kallenbach war unangenehm genug. Man brauchte keine Publicity mit solchen Vorfällen wie Findlingen; die Vierlinge und vor allem die Siamesen waren Reklame genug, die keine Flecken vertrug. Gelang die Trennung der zusammengewachsenen Köpfe, so war der Name Karchow in aller Mund, und Dr. Julius war eine Dozentur sicher.
    Dr. Wollenreiter blieb auf der Station zurück, während Julius die beiden Besucher bis zum Ausgang begleitete. Er sah ihnen nach, wie sie langsam zum Taxenstand gingen, der vor dem Krankenhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite eingerichtet war. Julia hatte sich bei ihrem Vater eingehakt, ihre Beine schleiften über den Boden, sie machte den Eindruck einer Schwerkranken, einer halb Gelähmten. Dr. Julius schüttelte den Kopf und ging in die Halle zurück.
    Ein merkwürdiges Paar, dachte nun auch er. Aber das Jugendamt muß es ja wissen. Die Auskunft war hervorragend.
    Nachdem sie das große Einfahrtstor der Klinik passiert hatten, blieb Ernst Bergmann stehen und sah Julia nachdenklich an.
    »Hast du gesehen«, fragte er leise, als könne man sie hier noch hören, »daß das Zimmer zu ebener Erde liegt?«
    »Nein Vater.« Julias Antwort war schwach. Wie schön es aussieht, dachte sie nur. Wie glücklich es schläft. Mein Kind –
    »Das Zimmer liegt im Parterre. Zum Garten hinaus. Ich habe vor dem

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