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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wetter ist fast Mord«, rief er und riß die Tür auf. Er sah, daß in der Teeküche die Nachtschwester beschäftigt war. Sie suchte im Medikamentenschrank eine Ampulle. Kreislaufinjektion für Zimmer 18, dachte Wollenreiter. Er stand in der großen Eingangshalle, von der vier Flure zu den Stationen abgingen, eine Drehscheibe zu einem halben Hundert Schicksalen.
    Nachtwächter Bramcke war ihm gefolgt. Er rauchte eine Zigarre, Brasil. Zu 30 Pfennig. Ein Nachtwächter ist kein Krösus.
    »Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, sagte Wollenreiter laut. Seine Stimme dröhnte in der nächtlichen Leere wie eine Fanfare und wurde von den weißen Wänden zurückgeworfen. »Diese Adoptionsgeschichte macht mich ganz dusselig. Kommen Sie mit, Bramcke? Ich will eine kleine Runde machen … das beruhigt vielleicht. Ich habe einfach das Bedürfnis zu laufen.«
    »Wenn's sein muß«, brummte Bramcke. »Meine Frau sagt zu so etwas immer: Du hast Ameisen im Hintern.«
    »Vielleicht!«
    Sie gingen von Zimmer zu Zimmer, sahen kurz hinein und schlossen wieder die Tür. Einmal, bei einem fiebernden Kind, hielt sich Wollenreiter länger auf, fühlte den Puls, schellte nach der Nachtschwester und ordnete einen Wadenwickel an.
    So kamen sie auch zu Zimmer 10.
    »Unser Liebling –«, sagte Bramcke, als Wollenreiter an die Klinke griff.
    »Seien Sie still! Maria Ignotus hat einen leichten Schlaf –«
    Die Tür schwang auf. Frische, kalte Nachtluft wehte Wollenreiter und Bramcke entgegen. Sie prallten fast zurück.
    »So eine Sauerei«, knirschte Wollenreiter. Es war, als explodiere er vor Wut. »Da hat einer das Fenster aufgelassen! Und sie hat gerade die Pneumonie überstanden. Na, ich werde die Station zusammenscheißen, daß sie klein wie die Wanzen werden!«
    Wollenreiter und Bramcke rannten gleichzeitig zum Fenster, um es zu schließen. Und gleichzeitig sahen sie auch die zerbrochene Scheibe.
    »Licht«, brüllte Dr. Wollenreiter.
    Noch bevor Bramcke an dem Schalter drehte, war der Arzt am Bettchen. Mit beiden Fäusten hieb er auf die Gitter.
    »Weg«, schrie er. Seine Stimme überschlug sich. »Weg!«
    Bramcke lehnte wie gelähmt an der Wand. »Das ist doch nicht möglich …«, stammelte er. »Das kann doch nicht sein … was heißt weg …?«
    »Geklaut«, brüllte Wollenreiter. »Man hat mir Maria geklaut!«
    Er stürzte wieder zum Fenster und beugte sich hinaus. Dann sah er in dem schneematschigen Boden die Fußspuren. Männerschuhe. An der Hauswand lag ein Kartoffelsack mit festgeklebten Glasscherben.
    Mit einem Satz war Wollenreiter auf der Brüstung und sprang in den Garten. Wie ein Jagdhund raste er der Fußspur nach, kam an die Mauer, sah das Abschleppseil, kletterte hinauf und starrte auf die leere Straße.
    Die Spur war verwischt. Sie endete auf dem Asphalt, am Bordstein, in einem unbekannten, längst irgendwo durch die Nacht fahrenden Auto.
    Dr. Wollenreiter hieb in sinnloser Wut mit der Faust auf die Mauer. »Schweine«, brüllte er in die Nacht hinaus. »O ihr Schweine! Ich bringe euch um, wenn man euch erwischt!«
    Er war zehn Minuten zu spät gekommen.
    Nach diesem Schicksalsschlag kannte Wollenreiter keine Rücksicht mehr.
    Zurückgekehrt in die Klinik, rannte er an der bleichen, zitternden Nachtschwester, die ratlos vor dem leeren Bettchen stand, vorbei zur Portiersloge, riß das Telefon an sich und jagte erst Oberarzt Dr. Julius und dann Prof. Dr. Karchow aus dem Schlaf.
    »Maria Ignotus ist soeben gestohlen worden«, schrie er in die Muschel. »Ich alarmiere sofort die Polizei!«
    Dr. Julius begriff sofort und rief zurück: »Ich komme, Wollenreiter. In zehn Minuten bin ich da! Behalten Sie den Kopf! Rufen Sie den Freund des Chefs an, Sie wissen, den Staatsanwalt Allach!«
    Prof. Karchow, aus tiefstem Schlummer gerissen, brauchte erst eine Anlaufzeit. Außerdem hatte er Rotwein getrunken und einen ziemlich schweren Kopf. Aber dann begriff auch er, was über seine Klinik ›Bethlehem‹ hereingebrochen war.
    »Wollenreiter, das ist ja entsetzlich«, rief er. »Keine Polizei. Rufen Sie Allach an! Und kein Wort an die Öffentlichkeit! Vergattern Sie die Nachtschwester und Bramcke, kein Wort zu sagen! Ich komme gleich! So eine Sauerei, Wollenreiter! Die fehlte uns noch!«
    Innerhalb einer Stunde waren sie alle in dem leeren und nun eiskalten Zimmer 10 versammelt. Karchow, Staatsanwalt Dr. Allach, zwei Beamte eines Dezernates für Vermißte, Oberarzt Dr. Julius und der völlig gebrochene Dr. Wollenreiter.
    »Du mußt

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