Kinderstation
ein Sonderdezernat bilden«, sagte Karchow heiser zu Dr. Allach. »Es müssen Verrückte gewesen sein. Eine Erpressung scheidet ja aus. Erpressung!« Karchow schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Kallenbach!«
»Der sitzt in Untersuchungshaft.«
»Von ihm beauftragte Helfer. Ganz klar ist das. Er hat irgendwie einen Auftrag hinausschmuggeln können. Sie haben Maria Ignotus entführt, um auf mich einen Druck auszuüben. Um mich fertigzumachen. Das ist ein Werk von Kallenbach.«
»Ich glaube nicht so recht daran.« Staatsanwalt Dr. Allach betrachtete den Kartoffelsack und die in der Schmierseife klebenden Glasscherben. Ein Kriminalbeamter hatte den Sack ins Haus gereicht. Drei weitere Beamte waren dabei, die vielen Spuren zu sichern … im Garten, an der Mauer, auf der Straße. Von den wunderbar plastischen Schuhabdrücken im weichen Gartenboden nahmen sie Gipsabzüge vor. Das Abschleppseil wurde mit Handschuhen zusammengerollt und in einen Papiersack getan. Asservatentüte, so heißt es in der schönen Juristensprache.
»Wer soll es denn sonst sein?« fragte Dr. Julius. »Alles weist darauf hin, daß die Entführung genau und präzise geplant wurde.«
»Eben darum.« Dr. Allach trat vom Fenster zurück. »Es wurde eingehend vorbereitet, aber keinerlei Wert auf Spurenverwischung gelegt. Wichtig allein war nur das Kind. Und das bestärkt mich in einem Gedanken: Die eigene Mutter hat das Kind zurückgeholt!«
»Warum setzt sie es dann erst aus?«, fragte Dr. Wollenreiter dumpf.
»Weiß man, was in solch einem jungen Mädchen vorgeht? Erst ist die Panik da: Ich bekomme ein Kind! Dann legt man es vor die Tür. Später aber, wenn sich die Zustände irgendwie normalisiert haben, kommt die Reue, kommt die Muttersehnsucht, schlägt das Gewissen so lange an die Seele, bis der zweite Akt der Kriminalität einfach zwingend wird: Man holt das Kind zurück!« Dr. Allach atmete auf. »So, nur so kann es gewesen sein.«
»Das leuchtet ein«, sagte Prof. Karchow nachdenklich. »So kann es gewesen sein, es muß aber nicht.«
»Natürlich nicht. Im Augenblick sind wir nur auf Hypothesen angewiesen. Aber wir haben so viele Spuren, daß wir unter Mitwirkung der Öffentlichkeit die Täter auffinden werden.«
»Um Himmels willen, keine Öffentlichkeit!« Prof. Karchow hob abwehrend beide Hände. »Ich will ja gerade jeden Skandal vermeiden.«
Staatsanwalt Dr. Allach schüttelte den Kopf. »Das ist ausgeschlossen, Hans. Wir müssen den Sturm über uns ergehen lassen. Ohne Mitarbeit der Bevölkerung ist hier gar nichts zu machen.«
»Dann seien wir still –«
»Und Maria bleibt verschwunden«, rief Dr. Wollenreiter dazwischen. Karchow sah ihn strafend an, aber Wollenreiter war nicht mehr empfänglich für Vorgesetztenblicke. Man hatte seine kleine Maria Ignotus gestohlen, sein Patenkind. Er schrie nach Rache, nach Vergeltung.
»Unmöglich!« Dr. Allach zog die Übergardine vor das zerbrochene Fenster. Es zog erbärmlich. »Wenn die Theorie stimmt, daß die eigene Mutter es geholt hat, so können wir zufrieden sein und der Öffentlichkeit sogar eine rührselige Geschichte servieren – aber was ist, wenn die Theorie nicht stimmt und wirklich ein Verbrechen vorliegt? Wir könnten alle, wie wir hier stehen, unseren Hut nehmen und in die Wüste gehen.«
»Und wie soll das Kommende aussehen?« fragte Prof. Karchow seufzend.
»Zuerst Meldung des Tatbestandes in der Presse, in Funk und Fernsehen. Verbreitung der Abbildungen von dem Kartoffelsack, dem Abschleppseil und den Schuhabdrücken. Und dann möchte ich einen großen Bluff loslassen, der den Entführern einen Schock versetzt. Vielleicht führt dies zu einem schnellen Erfolg.«
»Und das wäre?« fragte Dr. Wollenreiter.
»Ich werde in allen Zeitungen verbreiten lassen«, sagte Dr. Allach mit verschmitztem Lächeln, »daß das geraubte Kind das falsche war.«
Es dauerte noch einen Tag, ehe Franz Höllerer und Julia nach München fahren konnten. Ernst Bergmann führte lange Telefongespräche mit Möbelfirmen und plünderte sein Sparkassenbuch, auf dem die Ersparnisse von fast zwanzig Jahren eingetragen waren. Dann war es endlich soweit, daß er sagen konnte:
»In der Münchner Wohnung ist jetzt das Allernötigste vorhanden. Vor allem Schlafzimmer, Küche und alles für das Kind. Los, fahrt ab! Alles andere könnt ihr ja in den nächsten Tagen dazukaufen. Nur erst mal weg aus der Stadt –«
Julia war in diesen vierundzwanzig Stunden hektischer Betriebsamkeit
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