Kinderstation
will denn der hier?«
»Er hat soeben sein Kind eingeliefert.«
»Der? Ein Kind? In seinem Alter?«
»Ein Nachkömmling, Herr Professor. Außerdem ist die zweite Gattin des Präsidenten erst achtundzwanzig Jahre alt und seit vier Jahren mit ihm verheiratet.«
»Donnerwetter!« Prof. Karchow putzte seine Goldbrille. »Man sieht, Beamtendienst erhält jung! Hübsche Frau?«
»Eine Schönheit, Herr Professor.« Julius lächelte versteckt. Er kannte Karchow zu genau.
»Prenneis ist doch in den Sechzigern, was? Und dann so etwas Junges?« Karchow setzte seine Brille auf. »Na ja, man fühlt sich ja auch noch nicht alt, was Julius. Um was handelt es sich denn?«
»Um den dreijährigen Sohn des Herrn Präsidenten. Er ist gefallen und hat sich das Knie aufgeschlagen.«
»Und da bringen sie den zu mir?« fragte Karchow entgeistert.
»Ja. Der Kleine ist ein Hämophile. Es liegt eine kritische hämophile Gonitis vor.«
»Und das sagen Sie erst jetzt? Julius! Wo sind die Herrschaften?«
»Nebenan, in Ihrem Wartezimmer, Herr Professor.«
Landgerichtspräsident Dr. Prenneis stand am Fenster, sah in den frühlingsbunten Garten und trommelte gegen die Scheiben. Frau Prenneis, eine wirkliche hellblonde Schönheit, hockte auf dem Rand eines der Ledersessel und schien zu beten. Ihre Köpfe fuhren herum, als Prof. Karchow ins Zimmer stürzte.
»Bitte, haben Sie keine Sorgen, gnädige Frau, und auch Sie, Herr Landgerichtspräsident, ganz ruhig«, sagte Karchow nach der förmlichen Begrüßung mit Vorstellung und Handkuß. »Mein Oberarzt hat schon genau berichtet. Einer meiner besten Ärzte, Dr. Wollenreiter, kümmert sich um Ihren Sohn. Ich werde ihn mir auch gleich ansehen. So schrecklich früher die Bluterkrankheit war – die Krankheit der Könige, so nannte man sie, und geschrieben wurden genug dramatische Märchen über sie, Rußland, Zarewitsch, Rasputin, na, Sie wissen es ja –, so sehr hat sie ihre Schrecken jetzt durch die moderne Therapie verloren. Wir kennen heute die verschiedensten Globuline und können die Blutungen zum Stillstand bringen …«
»Ich hoffe es.« Landgerichtspräsident Dr. Prenneis strich sich nervös über sein Gesicht. Er war ein hagerer, rüstiger, sportlich wirkender Herr. Jugend erhält jung, ein alter Hut, dachte Karchow und lächelte Frau Prenneis an. »Ich vertraue Ihnen, Herr Professor. Sie wissen nicht, wie sehr ich an dem kleinen Detlev hänge. Zu so später Lebensstunde noch ein so junges Glück, und dann so tragisch. Meine Frau wollte den Jungen unbedingt zu Ihnen bringen.« Dr. Prenneis sah Karchow forschend an. »Ich gestehe, ich hatte etwas Hemmungen … nach diesem Artikel in der Presse –«
Bei Karchow setzte der Herzschlag aus. Eine Ohrfeige hätte nicht schlimmer sein können.
»Ich … ich sehe mir das Kind erst an –«, sagte er heiser, verließ schnell das Wartezimmer und ließ den Präsidenten zurück. In seinem Büro warf er die Arme hoch und schnappte nach Luft.
Noch niemals in seinem Leben war er so erniedrigt worden.
So traf ihn Oberarzt Dr. Julius an, mit hochrotem Kopf und jagendem Atem. Einen Augenblick dachte er, der Chef sei krank, habe einen Kollaps bekommen, aber dann sah er die funkelnden Augen hinter den Brillengläsern und wußte, daß Prof. Karchow sich in einem Stadium höchster Erregung befand.
»Ich komme wegen der Neueinlieferung«, sagte Dr. Julius vorsichtig.
Karchow schöpfte tief Luft. »Gegen den Widerstand des Vaters hat die Mutter ihn zu uns gebracht!«
Dr. Julius begriff sofort. Der Presseartikel, die erste Reaktion einflußreicher Kreise. Er versuchte nicht, nichtssagende Worte als Tröstung vorzubringen, er überging einfach die peinliche Situation.
»Aus dem Labor ist der Befund da. Ich habe sofort eine Untersuchung machen lassen, da das Kind ja den Bluterpaß nicht bei sich hat und die Eltern das in der Aufregung auch vergessen haben. Es ist eine Hämophilie A.«
»Könnte es anders sein? Steht die Blutung?«
»Wollenreiter ist noch darum bemüht.«
»Also nicht!« Prof. Karchow knöpfte mit zitternden Fingern seinen weißen Kittel zu. »Julius, der Junge muß gerettet werden! Und wenn wir hinterher vor Müdigkeit umfallen! Wir müssen so lange bei ihm bleiben, bis die Gefahr gebannt ist! Kommen Sie –«
Sie rannten in den OP I, wo Dr. Wollenreiter, ein anderer Arzt und zwei Schwestern um den kleinen Patienten bemüht waren.
Der Junge sah blaß aus, fahl, wie ausgeblutet. Das Kniegelenk, auf das er gefallen war, war dick
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