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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Müdigkeit, als atmete sie Äther ein … Sie zwang sich, wach zu bleiben, richtete sich auf, nabelte das Kind vorschriftsmäßig ab, wälzte sich von der blutigen Gummiunterlage, schleppte sich weiter, gab sich zwei Injektionen, legte das kleine braunhäutige Wesen auf einen Packen Zellstoff und kümmerte sich dann wieder um sich und um die letzten Phasen der Geburt.
    Um 4 Uhr morgens war alles vorüber. Todmüde lag Karin Degen auf dem Bett. Die Wäsche war abgezogen, die Spuren waren weggewischt, neben der Tür stand der Wäschewagen, niemand würde am Morgen kontrollieren, woher die blutigen Laken und Binden stammten. Die automatischen Wäscheschlucker beförderten alles in die Zentralwäscherei, wo sortiert und gewaschen wurde. Das einzige, was blieb, war das Kind. Ein kleiner, gesunder Junge, fast sechs Pfund schwer, mit krausen Härchen und kaffeebrauner Haut.
    Gegen 5 Uhr erhob sich Karin Degen wieder. Sie wunderte sich, woher sie die Kraft nahm. Sie schob den Wäschewagen vor sich her und hielt sich an ihm fest. Nachwächter Bramcke sah kurz hoch und dann auf seine Uhr. Bald geschafft, dachte er jetzt. Noch knapp zwei Stunden. So 'ne Nacht ist lang, auch wenn man's gewöhnt ist.
    Langsam, Schritt für Schritt, fuhr Karin Degen den Wäschewagen zu den Wäscheschluckern neben den Toiletten. Sie stopfte alles hinein und hörte mit einem Aufatmen, wie die Stücke wegglitten in den Sammelkeller. Dann ging sie zu Zimmer 9, um nach dem farbigen Hepatitis-Säugling zu sehen.
    Das Kind lag starr in seinem Körbchen, unbeweglich und kalt. Es war – irgendwann zwischen 1 Uhr und 5 Uhr morgens – gestorben, wie es Dr. Julius vorausgesagt hatte. Und beim Anblick des braunen, toten Kindes durchzuckte es Karin Degen. Es schlug in ihr ein, und es war so überwältigend, daß sie das tote Kind aus dem Körbchen hob, auf den Wäschewagen legte, mit einem Laken zudeckte und schnell zurück zu ihrem Wachzimmer fuhr. Dort verbarg sie den kleinen Körper in ihrem Schrank, wickelte ihr eigenes, schlafendes Kind noch einmal neu und trug es hinüber in Zimmer 9.
    Als es in dem Körbchen lag, unterschied es sich in nichts von dem gestorbenen Kind. Es war braun, neugeboren, ein noch verschrumpeltes, faltiges Bündel mit krausen, dunklen Haaren. Nur eine Hepatitis hatte es nicht.
    Mit diesem Rätsel werden sie allein fertig werden müssen, dachte Karin Degen und lehnte sich erschöpft gegen die Wand. Man wird es nie merken. Nie.
    Manchmal ist das Schicksal auch auf der Seite der Verzweifelten.
    Um 7 Uhr wurde Schwester Karin abgelöst. Schwester Angela übernahm wieder die Station.
    »Etwas Neues?« fragte die Ordensschwester.
    »Nein, Schwester Angela. Nichts. Eine ruhige Nacht.«
    »Und Zimmer 9?«
    »Auch ohne Komplikationen.«
    Schwester Angela blickte kurz zu Karin Degen. »Sie sehen blaß aus, Karin. Wie dem Tod entsprungen. Ist Ihnen nicht wohl?«
    »Ich habe schon seit Tagen Gallenschmerzen, Schwester.«
    »Ich würde das mal dem Herrn Oberarzt mitteilen.«
    »Morgen sage ich es. Guten Morgen, Schwester.«
    »Guten Morgen. Ruhen Sie sich aus, Karin –«
    So verließ Karin Degen die Klinik ›Bethlehem‹. In ihrer Einkaufstasche trug sie, in ein Badetuch gewickelt, den winzigen toten Körper des Kindes hinaus. Nachtwächter Bramcke begleitete sie sogar ein Stück und erzählte drei neue Witze von Klein-Erna. Karin Degen lachte pflichtschuldig. Ins Bett, dachte sie dabei. O ein Bett! Ich bin so müde, so kaputt, so völlig fertig.
    Am Abend, nach einem bleiernen Schlaf den ganzen Tag über, fuhr sie hinaus in den Stadtwald und vergrub den kleinen Körper mitten unter himmelhochstrebenden Birken und Fichten. Sie empfand keine Gewissensbisse dabei. Sie hatte niemanden getötet. Sie hatte im Gegenteil das Leben eines Kindes gerettet. Was sie begrub, war nicht ihr Opfer. Es war die Hülle eines armen Wesens, das geboren worden war, um gleich wieder zu sterben.
    Das Phänomen der Klinik ›Bethlehem‹ wurde gegen Mittag das Kind auf Nummer 9.
    Zuerst besichtigte es Dr. Wollenreiter, weil Schwester Angela behauptete, da stimme etwas nicht.
    »Gestern war es oliv, heute ist es wieder braun«, sagte sie fassungslos.
    »Es spielt vielleicht Chamäleon?« sagte Dr. Wollenreiter in seiner typischen Art. Aber dann hielt er es doch für angebracht, Oberarzt Dr. Julius zu benachrichtigen.
    »Ich komme da nicht mehr mit«, sagte er durchs Telefon. »Das Negerbaby mit der Hepatitis –«
    »– Exitus?« fragte Dr. Julius dazwischen.
    »Von

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