Kinderstation
gemacht!«
Karchow explodierte und fuhr zu Staatsanwalt Dr. Allach.
»Dein Untersuchungsgefängnis ist ein Miststall«, brüllte er. »Da können ganze Tiraden hinausgeschmuggelt werden! Ganze Kübel voll Dreck! Hast du das gelesen?« Er warf die Zeitung auf den Tisch. Dr. Allach nickte.
»Ich habe schon nachforschen lassen. Kallenbach schweigt natürlich. Wie diese Kassiber hinauskamen, ist nicht zu erfahren.«
»Natürlich nicht! Weil die Ganoven die Polizei für Idioten halten! Und mit Recht! Mit Recht!« Prof. Karchow sank auf einen der Dienststühle. Buche natur, mit Holzsitz. »Was soll nun werden? Wie soll das weitergehen? Wie kann ich mich gegen diesen Schmutz verteidigen? Ich kann ja sagen, was ich will, es wird immer heißen: Rede du nur, irgend etwas Wahres ist doch dran!« Karchow wischte sich den Schweiß von der Glatze und von den Brillengläsern. »Das Peinliche ist ja, daß etwas Wahres dran ist –«, fügte er dumpf hinzu.
»Ich weiß, Hans.«
»Aber man muß die Fälle medizinisch sehen! So eine interstitielle Pneumonie ist eine verteufelt schwer erkennbare Sache. Himmel noch mal – hat man als Mensch nicht das Recht, sich zu irren?«
»Als Mensch schon. Aber von einem Professor verlangt der normale Mensch das Wissen Gottes.« Dr. Allach hob die Schultern. »Das ist nun mal so, du weißt es doch. Wenn du einem Vater sagst: Ich weiß nicht, was Ihr Kind hat. Lassen Sie es zur Beobachtung hier, wird er denken: Das will ein Professor sein? Und weiß nicht mal, was meine kleine Erna hat? – Sagst du aber einen gelehrten lateinischen Satz, wird man dich bewundern, auch wenn du nur gesagt hast: Fisch esse ich am Sonntag nie!« Dr. Allach ging unruhig vor Prof. Karchow hin und her. »Es hat gar keinen Sinn, zu dementieren – von deiner Seite aus. Ich werde von der Staatsanwaltschaft aus eine Erklärung an die Presse geben, daß dieser Bericht der Kassiber eines Untersuchungsgefangenen ist, der wegen Erpressung verhaftet wurde.«
»Und dann?«
»Dann wird es Zeit, daß ich die Untersuchungen abschließe und einen Prozeßeröffnungsantrag stelle. Das hat der Kallenbach jedenfalls erreicht.«
»Und was weiter?« sagte Karchow heiser.
»Dann wirst du als Zeuge gehört werden und mußt erzählen, wie es war.«
»Also die Wahrheit?«
»Ja, du wirst vereidigt werden.«
»Und so etwas nennt sich Justiz und mein Freund!« Karchow sprang auf. »Da kann ich mich ja gleich auf den Markt stellen, mit einem Schild vor der Brust: Ich bin der Karchow, das akademische Rindvieh von Bethlehem!«
»Du siehst zu schwarz, Hans.«
»Und meine Frau? Migräne hat sie schon. Heute abend wird ihr Vetter da sein, das Familienoberhaupt. Graf von Hollfeldt. Uralter Adel, seit sechs Generationen degeneriert. Er wird sagen: Lieber Hans, wenn das stimmt, muß ein Ehrengericht der Familie –« Karchow schnellte hoch. »Zum Kringelscheißen ist das«, brüllte er. »Kann man diesem Kallenbach nicht den Mund stopfen? Wenn ich bedenke, welches erneute Rindvieh ich war, als ich dich, den Beamten benachrichtigte, anstatt dem Kallenbach stillschweigend seine dummen 200 Mark zu zahlen! Aber so ist es immer: Braver Bürger sein ist Selbstmord! Wer dem Staat vertraut, sollte sich gleich einen Sarg dazu kaufen. Guten Tag!«
Staatsanwalt Dr. Allach ließ seinen Freund ohne Gegenrede ziehen. Menschlich verstand er ihn zu gut, dienstlich aber lehnte er diese Haltung Karchows strikt ab. Er grübelte darüber nach, wie man durch einen Aufmarsch von Gutachtern die Weste Prof. Karchows wieder weiß werden lassen konnte. Es war keine Manipulation, sondern nur ein Kampf gegen die Dummheit der Masse. Die Ansicht, ein Arzt dürfe sich nicht irren, war so verwurzelt wie ein Amen nach dem Gebet. Daß ein Arzt auch nur ein Mensch war, hinterließ stumme Verwunderung.
Zufälle sind im Leben häufiger als man denkt oder gar merkt. Oft ist das, was man eine logische Entwicklung nennt, nur eine Kette von Zufällen, so wie beim Roulette etwa eine Serie Rouge erscheint.
Als Prof. Karchow wieder in die Klinik ›Bethlehem‹ zurückkehrte und wie ein hungriger Stier in sein Büro stürmte, erwartete ihn dort Oberarzt Dr. Julius.
»Keine Grabreden, Julius«, schnaubte Karchow. »Warum haben Sie noch keinen schwarzen Schlips um? Wo sind die anderen? Will man seinem Chef nicht die Abschiedsarie singen?«
»Im Wartezimmer sitzen Herr und Frau Dr. Prenneis, Herr Professor.«
»Wer?«
»Landgerichtspräsident Dr. Prenneis, Herr Professor.«
»Was
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