Kinderstation
abreiste.
Die von der ganzen Klinik ›Bethlehem‹ erwartete Hochzeit zwischen Oberarzt Dr. Julius und Dr. Renate Vosshardt fand nicht statt. Das Aufgebot vergilbte im Kasten des Standesamtes, bis es vom Amtsdiener herausgenommen wurde. Auf unbestimmte Zeit verschoben.
Schuld daran war eine neue technische Assistentin, die Dr. Julius eingestellt hatte, um Labor und Röntgenstation zu vervollständigen. Da Fräulein Lisa Heintel, ein braunrotes Püppchen mit einem runden Gesicht und zwei neckischen Grübchen in den Wangen, mit schlanken Beinen in hochhackigen Schuhen und einem Lachen, das in Kaskaden perlte, auch manuell begabt war, beschäftigte Dr. Julius sie auch für die Vorbereitung zur Siamesentrennung und übertrug ihr die Kontrolle des Kopfkorsetts, mit dem die Zwillinge seit einem Monat eingeschnürt wurden. Öfter saßen sie auch in der ›Bastelstube‹ und entwickelten zusammen ein neues Gerät zur Ruhigstellung von Knochenbrüchen nach erfolgter Extension.
Dr. Renate Vosshardt betrachtete diese neue Arbeitsgemeinschaft mit kritischen Augen. Öfter tauchte sie ganz unmotiviert in der ›Bastelstube‹ auf, riß einfach, ohne anzuklopfen, die Tür auf und trat ein, stellte sich neben Dr. Julius und sah zu. Das ging so weit, daß Dr. Julius einmal sagte: »Bitte, unterlaß diese dumme Nachspioniererei, Renate! Du machst dich ja lächerlich –«
»Sie ist hübsch, dieses Fräulein Heintel, nicht wahr?« antwortete sie mit der Spitzheit, die zur Naturbegabung der Frauen gehört. »Hübsch, jung, offenherzig und ehrgeizig!«
»Das stimmt alles, bis auf offenherzig.«
»Der Herr Oberarzt ist begeistert von ihr, nicht wahr? Natürlich nur vom Fachlichen her! Eine fleißige Arbeiterin! Und manuell so begabt! Was sie mit ihren Händen so alles anstellen kann –«
»Laß diese blöden Bemerkungen, Renate«, sagte Dr. Julius grob. »Fräulein Heintel ist mir eine richtige Hilfe.«
»Hach, wer bezweifelt das?« Dr. Vosshardt lachte grell. »Man lächelt in der Klinik über mich, weißt du das? Die gute Renate, die schon zu Lebzeiten Witwe wird, heißt es. Wollenreiter sagte neulich: Beste Kollegin, Männer sind wie Kinder. Neues Spielzeug übt einen ungeheuren Reiz auf sie aus.«
»Saublöde Reden. Ich werde mit Wollenreiter sprechen!«
»Ganz so saublöd ist es nicht, mein Lieber.« Renate Vosshardt strich sich die Haare aus der Stirn. Sie saßen im Arztkasino und tranken ein Glas Tee mit Zitrone. »Ich sehe es doch, wie sie dich anhimmelt. Wie ihre grünen Äuglein blitzen, wenn sie nur deinen Schritt von weitem hört. Wie sie die Haare schnell ordnet, wie ihre Zungenspitze über die Lippen huscht, wie eine Schlange, die das Kaninchen wittert.«
»Aus dir spricht grundlose Eifersucht und läßt dich gehässig werden.«
»Gibst du zu, daß du mehr mit ihr zusammen bist, als es nötig ist?«
»Nein!«
»Daß du leugnest, macht die Sache nur noch verdächtiger.« Renate Vosshardt schob mit einer wilden Bewegung ihr Teeglas weg. »Wir haben nie Zeit füreinander außerhalb der Klinik –«
»Den Grund übersiehst du ja –«, sagte Dr. Julius gequält.
Renate schwieg verbissen. Ihre Liebe zu Julius war tief und echt. Sie hatte nie zu den Mädchen und jungen Ärztinnen gehört, die Liebe nur als eine hormonale Angelegenheit betrachten, als ein Auf und Ab innersekretorischer Wallungen. Sie hatte vor Dr. Julius nur eine einzige Liebschaft gehabt, in ihrer Studienzeit, einen Medizinstudent im 6. Semester. Sie wollten sich verloben, aber ein Motorradunfall setzte dieser jungen Liebe ein jähes Ende. Dieses Erlebnis hatte Renate Vosshardt seelisch still und hart gemacht. Sie wich allen Anträgen aus, sie zeigte nie für einen Mann mehr Interesse als für einen guten Bekannten, und so fröhlich sie sein konnte, so ausgelassen manchmal, so lockend ihr Körper wirkte und ihr Lachen so viel versprach, so sehr täuschte man sich in allem, was eine tiefe Bindung betraf. Erst als sie Dr. Julius begegnete, wurde es anders. Er war Witwer, er war ein ernster Mensch, er liebte seinen Arztberuf, er führte ihn nicht bloß aus.
Als er sie zum erstenmal küßte, war es etwas Unverständliches. Er kann küssen, dachte sie, als sich ihre Lippen öffneten und den Kuß erwiderten. Er kann wirklich küssen. Er fühlt sich gar nicht kalt an, er kann Gefühle zeigen und Gefühle erwecken. Er ist ein Mann. Er ist ein richtiger Mann. Und es ist wohltuend, von ihm geküßt zu werden. In allem, was er tut, ist etwas Vollendetes,
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