Kinderstation
zwirnsfadendünne Kunststoffadern aus Dacron, die Dr. Julius im Austausch mit herausgenommenen echten Gefäßen transplantieren wollte.
Bramcke saß, als die Operationen begannen, im Nebenkeller und tröstete den unruhig gewordenen Affen Bruno. Der Blutgeruch war nicht zu vermeiden, und ein Affe ist ein kluges Tier.
»Wir haben noch Zeit, Bruno«, sagte Bramcke liebevoll und schälte dem Schimpansen eine große Banane. »Nebenan sind noch zwanzig Ratten, neun Meerschweinchen und drei Hunde. Und dann kommst erst du. Aber keine Angst, unser Oberarzt schafft es. Und wenn du später die künstlichen Adern im Kopf hast, Bruno, kann dir nie mehr 'ne Ader schwellen, wennste dich ärgerst. Komm, 'ne leckere Banane … wir kümmern uns gar nicht um nebenan, was, Bruno?«
Die ersten Operationen an den Rattengehirnen waren qualvoll und mühsam. Die Größenverhältnisse störten noch. Teilweise mußte Oberarzt Dr. Julius unter einer großen Lupe arbeiten, wie ein Uhrmacher, der ein winziges Rädchen oder Schräubchen sucht und anziehen muß. Die Transplantation der Kunststoffadern war ein Werk feinsten Fingerspitzengefühls.
»So bekommt man das Gefühl für die fast unsichtbaren Dinge im Hirn«, sagte Dr. Julius, wenn er mit schmerzendem Rücken sich zurücklehnte und eine Pause einlegte. Dann arbeitete Dr. Wollenreiter weiter. Er zeigte sich als geschickter, begabter Operateur. Es war erstaunlich, zu beobachten, wie der sonst so grobe Mann mit feinsten Fingerbewegungen die Ligaturen um die kaum sichtbaren Gefäße legte.
Nach fünf Tagen starben von zehn operierten Ratten vier an Durchblutungsstörungen des Gehirns. Die anschließende Sektion bewies es.
»Kein Wunder«, sagte Prof. Karchow, der jeden Tag in den Keller hinabstieg, um das Team bei der Arbeit zu besichtigen. Dabei wurde er einmal von Bruno in den Zeigefinger gebissen. Bruno schien eine Antipathie gegenüber Karchow zu haben. Immer wenn der Chef erschien, fletschte er die Zähne und heulte schauerlich. »Was hat das Vieh nur?« schimpfte Karchow. »Der Bramcke kann mit ihm umgehen wie mit einem Kind.«
»Bruno ist ein Verächter der Obrigkeit«, sagte Dr. Wollenreiter. »Er mag keine Chefs.«
»Kein Wunder –«, sagte also Karchow nach den vier toten Ratten. »So fein kann kein Mensch operieren, daß er eine winzige Rattenhirnader nicht bei der Ligatur zuzieht. Warten wir ab, wenn Sie an die Meerschweinchen und Hunde kommen! Und erst an dieses Aas von Bruno! Immerhin – sechs überlebende Ratten –, das macht Ihnen keiner so schnell nach, Julius.«
Sie übten drei Wochen, Tag für Tag.
Die Ratten starben meistens, aber die Meerschweinchen überlebten, und die drei Hunde liefen nach der Operation und dem Einsetzen der Kunststoffadern herum, als sei in ihrem Gehirn nichts geschehen. Sie bellten, sie fraßen, sie tranken … nur der helle Hautfleck und die Nähte in dem rasierten Fell deuteten darauf hin, daß an ihnen eine große Veränderung vorgenommen worden war.
Als die Operation an Bruno begann, war es wie eine Generalprobe. Nachtwächter Bramcke zeigte eine Erregung, als müsse sein eigenes Kind auf den OP-Tisch. Er bereitete Bruno mit gütigen Reden auf sein unabwendbares Schicksal vor. Er verpflegte ihn in den Tagen vorher besonders gut, er gab ihm sogar heimlich Schokolade und trank eine Flasche mit ihm, was Bruno sichtlich zu begeistern schien.
Um 9 Uhr morgens war es dann soweit. Ein Notoperationstisch war im Keller aufgestellt worden, Schimpanse Bruno bekam eine Beruhigungsinjektion und wurde dann von Dr. Wollenreiter zuerst mit einem Ätherspray ›kampfunfähig‹ gemacht. Es war, als ahne er, was man mit ihm vorhatte … er sprang gegen die Gitter, als Wollenreiter kam, fletschte das Gebiß, kreischte, biß um sich, entriß Wollenreiter die Spritze und warf sie gegen die Wand.
»Bravo, Bruno«, sagte Bramcke wohlgefällig.
»Unterlassen Sie Ihre dämlichen Bemerkungen«, rief Wollenreiter wütend. Er sprühte Bruno mit Äther an, und da der Affe wütend war und kräftig schnaufte, atmete er schon nach zwei Zügen genügend Äther ein, riß die Augen auf und fiel dann um.
»Mit Gewalt geht alles«, bemerkte Bramcke, aber er half, Bruno aus dem Käfig zu ziehen, auf einen Tisch zu legen und hielt sogar den Arm fest, als Wollenreiter nun das Narkosemittel in die Armvene injizierte.
Da man Bruno vorher nicht zur Operation präparieren konnte, rasierten Bramcke und Wollenreiter nun die linke Kopfseite, sterilisierten die
Weitere Kostenlose Bücher