Kinderstation
war jetzt akut geworden.
»Sind die Eltern unterrichtet?« fragte Dr. Julius.
»Noch nicht.«
»Haben Sie mit Prof. Hahnel gesprochen?«
Eberhard Hahnel war Chef der neurochirurgischen Klinik. Dr. Julius hatte darauf bestanden, daß er bei der Operation zugegen sein sollte. Karchow hatte sich erst geweigert. »Er wird selbst operieren wollen«, hatte er eingewendet. »So etwas läßt sich Hahnel doch nicht aus der Hand nehmen! Und soll er Ihnen etwa assistieren? Der Hahnel? Lieber Julius, seit wann sind Sie utopisch?«
»Ich möchte nur, daß er anwesend ist. Auch ich kann mal einen falschen Griff tun.«
»Wo ist Ihr Zutrauen geblieben, Julius? Haben Sie Angst vor dem Eingriff?«
»Nein. Aber es beruhigt, wenn ein Mann wie Hahnel im Hintergrund steht. Der beste Schauspieler braucht ab und zu einen Souffleur.«
»Gut denn!« Karchow hatte geseufzt. »Ich werde mit dem Kollegen Hahnel sprechen.«
Wider Erwarten hatte Prof. Hahnel zugesagt. Jetzt aber war er nicht im Lande … er machte eine Vortragsreise durch die USA, hatte vor drei Tagen aus Minnesota geschrieben und schöne Grüße bestellt.
»Hahnel reist durch Amerika«, sagte Prof. Karchow. »Wir müssen ohne ihn auskommen, Julius.«
»Wann kommt er zurück?«
»Vielleicht in zwei Monaten.«
»Das ist alles zusammen ein großer Mist, Herr Professor.«
»Ich weiß, Julius. Aber Wollenreiter hat ja einen Hauch Neurochirurgie mitbekommen.«
»Nur einen Hauch, eben! Ich brauche einen Taifun!«
In den folgenden Tagen hatten weder Renate Vosshardt – sie war ohne große Formalitäten wieder in der Klinik ›Bethlehem‹ eingestellt worden, und Karchow hatte durch seinen einflußreichen Namen alle Stürme abgewendet, die bei Renates letzter Stellung begonnen hatten – Zeit noch Gedanken, sich um ihre Heirat zu kümmern. Alles drehte sich nur um die kommende Operation.
Die Zwillinge wurden noch einmal mit aller Gründlichkeit untersucht, vor allem das gemeinsame Hirnvenensystem wurde millimeterweise aufgenommen, vergrößert und studiert. Dann begann Dr. Julius etwas, was er seit Jahren nicht mehr getan hatte … er legte sich im Keller eine Art Anatomie an. Drahtkäfige wurden angeschafft, Stroh und Heuballen wurden in den Keller gebracht, Nachtwächter Bramcke übernahm freiwillig einen neuen Tagesdienst – er wurde Tierpfleger. Denn innerhalb von vier Tagen waren zwei Keller mit Ratten und Meerschweinchen bevölkert, mit drei Hunden und – Prof. Karchow hatte die Kaufsumme bei der Verwaltung durchgesetzt – mit einem Affen, einem Schimpansen.
Nachtwächter Bramcke entdeckte sein tierliebendes Herz. Um Ratten kümmerte er sich nicht, bis auf die Fütterung. Sie hatten ihn von jeher angeekelt. Aber vor den Käfigen der drei struppigen Hunde und vor allem des Affen saß er stundenlang, spielte mit ihnen und unterhielt sich mit dem Schimpansen wie mit einem Menschen.
»Mein lieber Bruno –«, sagte er zum Beispiel. Wollenreiter hatte den Schimpansen so genannt. »Er sieht aus wie einer, der Bruno heißt«, hatte er die Namensgebung begründet. Und so hieß der Affe nun Bruno. »So ist das Leben«, philosophierte Bramcke und rauchte dabei eine Pfeife. »Man wird gefüttert, um nützlich zu sein. Bei uns Menschen ist es auch so. Zugegeben, das ist eine Schweinerei, aber wie soll man sich dagegen wehren?«
Zu Dr. Julius aber sagte er: »Herr Oberarzt, wird Bruno sterben?«
»Ich hoffe nicht, Bramcke. Er wird der letzte in der Operationsreihe sein.«
Dr. Wollenreiter dagegen, der auch ab und zu die Tiere besuchte, klopfte Bramcke einmal auf die Schulter, als dieser wieder bei Bruno saß und mit ihm sprach.
»Na, wie ist's, Bramcke?« fragte Wollenreiter. »Wollen Sie Bruno nicht adoptieren?«
Bramcke verzichtete auf eine Entgegnung. Gegen Wollenreiter zu kämpfen war sinnlos. Er hatte eine zu große Schnauze.
Und dann begannen die Probeoperationen. Zuerst bei den Ratten und Meerschweinchen. Alles vollzog sich genauso wie bei der Operation an Menschen. Dr. Wollenreiter und Renate Vosshardt assistierten. Es wurde intravenös narkotisiert, jeder Schnitt wurde wie am Menschen ausgeführt, mit Gefäßklammern, Wundhaken, Ligaturen, Umstechungen.
Für die Operationen hatte Dr. Julius sich besonders kleine Operationswerkzeuge anfertigen lassen. Nadelfeine Pinzetten griffen die kleinen Rattenadern, winzige Gefäßklemmen klammerten ab, zwergenhafte atraumatische Nadeln wurden in ebenso kleinen Nadelhaltern gefaßt. In einer Sterillösung lagen
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