Kinderstation
trug einen weißen Kittel und hatte einen Hut mit einem Gamsbart auf dem Kopf. Entgeistert starrte Lehmmacher den beiden nach, die mit schnellen Schritten den Vorbereitungsraum betraten.
»Haste das gesehen, Erna …«, sagte er und blinzelte mit den Augen. »Wir haben doch keinen Karneval –«
»Der andere war doch der Oberarzt, nicht wahr …«
»Ich glaube. Ich habe nur den Kerl mit dem Gamsbart gesehen. Wer war 'n das?«
Erna hob die Schultern und faltete wieder die Hände. Sie sah auf die kleine rote Lampe. Gott, steh ihnen bei, dachte sie. Mein Gott, laß wenigstens eines überleben.
Im Waschraum drehte sich Prof. Karchow um, als er das saugende Einschnappen der Tür hörte. Er wollte gerade brüllen: »Haben Sie die rote Lampe nicht gesehen –« als er sprachlos seine Seife ins Waschbecken fallen ließ.
»Julius«, rief er. »Himmel noch mal … was machen Sie denn hier?«
Dr. Julius ließ sich von Dr. Müller III aus der Jacke helfen. Es war keine Zeit mehr, sich die weißen Hosen und die weißen Schuhe anzuziehen. Zwei Schwestern halfen ihm, das Oberhemd und das Unterhemd über den Kopf zu ziehen. Es war mühsam und schmerzhaft. Mit nackter, bandagierter Brust stand er mitten im Waschraum, ließ sich den Operationskittel anlegen und darüber die Gummischürze, neigte den Kopf, eine Schwester stülpte ihm die Leinenkappe über die Haare. Eine andere Schwester stand mit dem Mundtuch in einer Sterildose schon bereit. Noch immer starrte Prof. Karchow seinen Oberarzt entgeistert an.
»Was soll das denn, Julius«, sagte er endlich, als Dr. Julius an das Waschbecken trat, das ihm Dr. Wollenreiter mit einem Augenblinzeln freimachte.
»Meine Operation beginnt doch, Herr Professor –«
»Ja, sind Sie von Sinnen? Sie sind doch selbst schwer verletzt. Wer hat Sie überhaupt hierhergebracht?«
»Kollege Müller III. Er steht neben der Tür.«
»Der Käse-Müller«, sagte Wollenreiter gemütlich.
»Wer hat Ihnen denn gesagt, was hier los ist?«
»Ich, Herr Professor.« Dr. Wollenreiter sah seinen Chef ohne Furcht an. »Ich hielt es für meine Pflicht –«
Prof. Karchow schwieg. Eine Art Ergriffenheit verschloß ihm den Mund. Er wandte sich wieder zum Waschbecken, fischte seine Seife heraus und seifte sich wieder ein. Dr. Julius lächelte still. Er wandte während des Waschens den Kopf und sah hinüber zu den Zwillingen. Die Narkose hatte begonnen. Blutkonserven wurden in den OP gefahren, ein neues Beatmungsgerät, ein Oszillograph, der die Herztätigkeit aufzeichnete.
»Böse, Herr Professor?« fragte Dr. Julius.
»Darüber sprechen wir später, Julius. Was Sie machen – soviel im voraus –, ist Wahnsinn!«
Mit bloßen, vorgestreckten Händen betrat Oberarzt Dr. Julius den Operationssaal. In seiner Brust stach und bohrte es. Er verbiß den Schmerz und beugte sich über die zusammengewachsenen Köpfe der kleinen Zwillinge. Um ihn herum gruppierten sich die Assistenten.
»Wir können beginnen«, sagte Dr. Julius selbstbewußt. »Steht alles bereit?«
»Alles«, meldete Dr. Wollenreiter.
Julius streckte die rechte Hand aus. Die Instrumentenschwester reichte ihm das Skalpell.
Die Trennung der siamesischen Zwillinge begann.
Mit dem Beginn der Operation fielen alle Aufregung, alle Spannung, alle seit Monaten bestehenden Probleme in sich zusammen. Dr. Julius hatte Prof. Dr. Hahnel von der Neurochirurgie durch Handschlag begrüßt. Nun stand der hohe Gast ihm als Assistent gegenüber und betätigte Tupfer und Klemmen, eine Aufgabe, die der kleinste Volontärarzt übernehmen konnte. Prof. Hahnel machte es nichts aus. Er kannte nicht den Stolz der Ordinarien, die sich als Könige in ihrem Klinikreich aufführen und in den Augen der Umwelt nur eine kleine Stufe unter Gott stehen. Für Hahnel war es interessant, zu sehen, wie Julius die Schädeldecke öffnete und dann den Strang bloßlegte, mit dem die Zwillinge zusammengewachsen waren. Kollege Karchow hatte ihm schon von seinem Oberarzt erzählt. »Ein fähiger Mann«, hatte Karchow gesagt, und wenn er sich so vorsichtig ausdrückte, wußte jeder Eingeweihte, daß Dr. Julius ein außergewöhnlicher Operateur sein mußte.
Die ersten Handgriffe bewiesen es schon. Mit äußerster Vorsicht und um jeden Millimeter besorgt, durchtrennte er die Schädeldecke der Kinder und fand seine Berechnung bestätigt, als er schnell die Knochenlücke maß, die in jedem der Kinderköpfe durch die Trennung entstehen mußte. In einem sterilen Wärmekasten lagerten
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