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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Recht kritisch und rief den ärztlichen Berater der Zeitung an. Spätestens nach zehn Minuten wurde Philipp Lehmmacher höflich, aber bestimmt aus der Redaktion hinausgeleitet. Bei allen Zeitungen. Bei allen Wochenblättern. Es war zum Verzweifeln. Niemand glaubte an das phosphoreszierende Blut.
    Am Abend kam Lehmmacher erschöpft und verbittert nach Hause. Die Welt glaubte an keine Wunder mehr.
    In diesen Tagen des Wartens, in denen Oberarzt Dr. Julius mit bandagierter Brust mühsam herumhumpelte und am Bett Renates saß, die in einem Streckverband lag, bedankte sich der Landgerichtspräsident für die Rettung seines kleinen Sohnes.
    Der Junge war wieder aus ›Bethlehem‹ entlassen worden, nachdem die Gefahr einer Nachblutung gebannt war. Eine Heilung der Krankheit, das wußten alle, war nicht möglich. Vorsicht war das Wichtigste. Keine Verletzungen, keine Stauchungen. Ein Leben, wie in Watte gepackt. Ein Mensch in einem Glaskasten. Es war ein trauriges Schicksal für einen kleinen, normalen, spielwütigen Jungen, aber es war der einzige Schutz vor neuen lebensgefährlichen Blutungen.
    Krankenpfleger Peter Kallenbach war erneut verhaftet worden. Jetzt hatte man einen Grund, ihn zu verurteilen, in aller Öffentlichkeit sogar, ohne Sorge, daß es eine Sensation gab. Seine Artikelserie war eine Beleidigung und Verleumdung Prof. Karchows.
    Ohne Aufsehen, nicht einmal Zuschauer saßen im Gerichtssaal, wurde Kallenbach wegen Erpressung und Verleumdung verurteilt.
    Der Gerichtsvorsitzende hielt bei der Urteilsverkündung noch eine moralische Rede und setzte die Strafe zur Bewährung aus.
    »Das ist ein Geschenk, Herr Kallenbach«, rief der Vorsitzende mahnend. »Nutzen Sie es richtig! Wir haben das Vertrauen zum guten Menschen in Ihnen nicht verloren –«
    Kallenbach nickte und verließ resignierend das Gericht.
    Es ist schwer, mit einem Hintern allein gegen einen Misthaufen anzustinken, dachte er. Was heißt hier: ausgesetzt zur Bewährung? Er war ein alter, gebrochener Mann, der es als sein Recht ansah, seinen Lebensabend durch sein Wissen um bestimmte Dinge freundlicher zu gestalten. Jedes Wissen war Gold wert, auch das seine. Man verweigerte ihm das Gold. Gab es noch ein Recht?
    Zwei Tage später verließ Peter Kallenbach die Stadt seiner Niederlage und fuhr mit dem Interzonenzug nach Berlin. Das Geld für die Fahrt pumpte er sich zusammen.
    Berlin, dachte er. Hier wird es besser klappen.
    Vor dreiundzwanzig Jahren war ich hier als Laborant tätig. Bei einem Dr. Wiggelein. Chefarzt Dozent Dr. Wiggelein. Es hieß immer, daß er für das Hygieneinstitut der SS tätig sei.
    Heute gab es in Berlin noch einen Dr. Wiggelein. Er hatte es auf der Post im Berliner Telefonbuch nachgelesen. Praktischer Arzt und Geburtshelfer nannte er sich jetzt.
    In einer kleinen Pension im Wedding schlief sich Kallenbach aus, dann, am nächsten Morgen gegen 10 Uhr, hob er den Hörer des Telefons ab und wählte die in seinem Notizbuch mit Rotstift gemalte Nummer.
    »Dr. Wiggelein?« fragte er, als sich eine Stimme meldete. »Ja, ich warte.«
    Dann hörte er eine unbekannte Stimme, schnell und herrisch.
    »Wiggelein.«
    »Herr Doktor selbst?«
    »Ja. Wer ist denn da?«
    »Sind Sie der Dr. Hubert Wiggelein, der vor dem Krieg in Dahlem wohnte?«
    »Ja. Was wollen Sie denn? Bitte, wer ist da?«
    »Kallenbach, Peter Kallenbach, Herr Doktor. Sie erinnern sich an mich?«
    »Nein. Nicht daß ich wüßte.«
    Kallenbach lächelte breit. »Das Gedächtnis, Herr Doktor, das böse Gedächtnis. In dreiundzwanzig Jahren vergißt man viel. Ich leider nicht. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich damals von Dahlem gewisse Präparate aus unserem Labor zum SS-Hygiene-Institut bringen mußte –«
    Es knackte in der Leitung. Wortlos hatte Dr. Wiggelein eingehängt. Peter Kallenbach lächelte böse. Er sah auf seine alte, verschrammte Armbanduhr.
    In einer halben Stunde bin ich bei dir, dachte er. Auch, wenn alles harmlos war, damals … der Name SS in Verbindung mit einem Arzt ist heute immer unangenehm und einige hundert Mark wert –
    »Ich bin ein Schaf, Bernd«, sagte Renate und hielt Julius' Hand fest. »Ich hätte uns bald ins Jenseits gefahren.«
    »Wer konnte diesen Ölfleck sehen in der Dunkelheit? Mach dir doch keine unnötigen Gedanken, Liebes.« Er beugte sich zu ihr und küßte sie. »Aber es scheint so, als wenn wir ab sofort nur noch zu Fuß gehen dürfen.«
    »Ich rühre kein Lenkrad mehr an«, rief Renate bestimmt.
    »Also beginnen wir,

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