Kinderstation
körperfreundliche Plastikhirnschalen, die als Deckung der Defekte am Ende der Operation eingesetzt werden sollten. Julius hatte die Maße vorher angegeben, berechnet aus den vielen Detail-Röntgenbildern.
Der Internist am Kreislaufkontrollgerät meldete sich.
»Kreislauf I bricht zusammen …«
»Coramin«, sagte Prof. Karchow, der hinter Julius stand und ihm über die Schulter sah. Dr. Wollenreiter injizierte das Kreislaufmittel, der Internist sah auf seine Meßinstrumente.
»Kommt wieder –«, sagte er laut. »Aber Herz flattert.«
»Wir werden das eine Kind opfern müssen«, sagte Karchow leise.
»Vielleicht.«
Dr. Julius hatte die gemeinsamen Hirnadern der Zwillinge freipräpariert. Kaum merklich pulsten die selbständigen Gehirne, Prof. Hahnel stillte eine Blutung aus den Kapillaren. Von hier ab begann sein Reich – aber er überließ es dem jüngeren Kollegen. Dr. Wollenreiter trat heran mit den vorbereiteten künstlichen Gefäßen aus Dacron. Prof. Hahnel sah kritisch auf die in einer Sterillösung schwimmenden Aderprothesen. Aorten haben wir schon ausgewechselt, dachte er, Teilungsstellen der Aorta, große Gefäße, aber im Gehirn, haarfeine Prothesen, das ist nicht nur neu, das ist ein Vabanquespiel.
Oberarzt Dr. Julius schien die Gedanken seines großen Assistenten zu erraten. Er ließ die Hände sinken und sah Prof. Hahnel an.
»Wollen Sie meinen Platz einnehmen, Herr Professor?« fragte er.
»Aber nein, nein«, antwortete Hahnel durch die plötzliche Frage verwirrt. »Machen Sie weiter, Herr Julius.«
»Ich durchtrenne jetzt die Aderstränge und schaffe mittels der Prothesen eine Anastomose der Hirngefäße.«
»Natürlich.« Prof. Hahnel sah auf die pulsenden Adern, die gleich durchtrennt werden sollten. Das Hirn kannte er wie seine Brieftasche, es gab keinen Winkel im Kopf eines Menschen, den er nicht bis zum letzten Millimeter untersucht hatte. Er sah auch jetzt genau, wo die einzigen Möglichkeiten waren, die Gefäße mittels der Prothesen zu einem eigenen Kreislauf einmünden zu lassen, aber dieses Wissen war für ihn theoretisch. An der Stelle Dr. Julius hätte er jetzt gesagt: Meine Herren, wir sind noch nicht soweit, Adern dieser winzigen Größenordnung zu transplantieren.
»Sie haben es – wie mir Kollege Karchow gesagt hat – geübt« sagte Hahnel deutlich. »Ihre Testoperationen waren erfolgreich. Möge Gott Ihnen auch hierbei helfen.«
Das war deutlich. Die Hauptlast lag bei Gott. Mit anderen Worten: Erfleht ein Wunder … mehr ist hier nicht zu tun.
Dr. Julius nickte Prof. Hahnel zu. Mit kleinen Klemmen, die Julius auch bei dem Affen Bruno benutzt hatte, unterband Hahnel den Blutstrom in den zu durchtrennenden Gefäßen. Nicht nur Prof. Karchow, alle, die um den OP-Tisch standen, hielten den Atem an. Sogar der harte Dr. Wollenreiter bekam ein ernstes, steinernes Gesicht.
Der entscheidende Schnitt stand bevor. Leben oder Tod! Leben durch die Kunst des Chirurgen – oder Tod durch das Messer eines Arztes, der zuviel gewagt hatte.
Mit einer spitzen, kleinen, scharfen Schere durchschnitt Dr. Julius die erste Ader. Er tat es mit der Gleichgültigkeit, mit der man einen Bindfaden durchschneidet. Ein paar Tropfen Blut wurden sofort mit den Tupfern aufgefangen. Hinter Julius hörte man das laute Atmen Karchows. Man sagt Ärzten eine gewisse Gefühlsroheit nach, wenn es um operative Dinge geht. Hier wischte das Erlebnis, etwas völlig Neues, etwas ungeheuer Mutiges zu erleben, jegliche innere Reserve weg.
Prof. Hahnel sah wieder Dr. Julius an. Gut, hieß dieser Blick. Durchschneiden kann jeder. Das ist nun geschehen. Und was nun? Wie will er das kleine Gefäß mit der Prothese vernähen? So kleine atraumatische Nadeln gibt es ja gar nicht. Von Gefäßklammern ganz zu schweigen.
Dr. Wollenreiter reichte eine neue, chromblitzende Schale. In ihr lagen Nadeln, die Julius selbst entwickelt hatte, winzig klein, nicht puppenhaft, nicht zwergenhaft, sondern fast schon mikroskopisch. Mit ihnen hatte er sogar Nähte an Blutgefäßen von Ratten und Kaninchen versucht. Unter der Lupe fädelte Dr. Wollenreiter hauchdünne Seidenfäden ein. Prof. Hahnel starrte entgeistert seinen Kollegen Karchow an.
»Ich bin sprachlos«, sagte er laut und bewies damit wieder, daß er fern allen Stolzes war, den sonst berühmte Ärzte wie eine zweite Haut zu tragen pflegen. »Herr Julius, haben Sie auch das Fingerspitzengefühl eines elektronischen Magneten?«
Oberarzt Dr. Julius lächelte unter seinem
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