Kindersucher - Kriminalroman
in der Umkleidekabine des Schlachthauses duschte. »Wären das Freksa, Horthstaler oder irgendein anderer Beamter der Mordkommission gewesen, wäre ich so schnell mit den Fotos zum Verlag gefahren, dass sie mein Verschwinden nicht mal bemerkt hätten. Haben Sie eine Ahnung, was diese Fotos wert sind? Der Tod des Kinderfressers! «
»Ich sagte Ihnen ja schon«, erklärte Kraus unter dem Wasserstrahl, »er war es nicht.« Er hatte das untrügliche Gefühl, eswäre klug, wenn der Reporter alles aufzeichnete, was sie hier unten fanden. »Halten Sie sich einfach an mich, Gerd. Diese Story ist etwas für die Geschichtsbücher.«
Die Stimme des Reporters wurde düsterer. »Ich habe fast Angst davor, alles zu erfahren, Willi. In meinen zehn Jahren auf den Straßen Berlins habe ich noch nie so viel Blut gesehen.«
Kraus sah zu, wie das Blut, das er sich aus dem Haar wusch, im Abfluss verschwand.
In der Zwischenzeit stellte auch Gunther seine Fähigkeiten unter Beweis. Er führte eine Gruppe von Männern an, die Schlachthaus Zwei wegen einer angeblichen »Gesundheitsinspektion« versiegelten, die kaputten Fahrzeuge davor abdeckten und einen falschen Bericht für die Gründe der Verfolgungsjagd durch den Viehhof verbreiteten. Außerdem verbargen sie sämtliche Überreste von Axel. Kraus hatte befohlen, alles Menschenmögliche zu tun, um den Tod des Ochsen geheimzuhalten.
Er hatte diesen Tod auch keineswegs gewollt. Er hätte Axel gebraucht, damit der ihm half, Magda und Ilse in die Falle zu locken. Denn er hegte den schrecklichen Verdacht, dass diese beiden perversen Schwestern auch ohne ihren Bruder ihr schreckliches Handwerk weiterführen könnten. Und wer konnte schon sagen, ob nicht noch andere in diese Morde verwickelt waren? Die Geschwister Köhler waren vielleicht nur kleine Rädchen in einem großen Getriebe. Ein Grund mehr, sie aufzuhalten.
Sobald die Mädchen jedoch hörten, was mit Axel passiert war, würde sie niemand mehr finden.
Ihr Bruder hatte seine Familie bedauerlicherweise selbst im Tod noch beschützt. Er hatte nicht ein einziges Dokument bei sich, das seine Identität verraten hätte: keinen Führerschein, keine Adresse. Nichts, was den Namen trug, den er nach dem Mord an seinem Vater angenommen hatte. In seiner Tasche befandensich nur ein Haufen blutiger Banknoten und mehrere Schlüssel. Sein Lieferwagen hatte keine Kennzeichen. Selbst in einer Stadt, die so kontrolliert wurde wie Berlin, hatten diese drei Kinder des Zorns es irgendwie geschafft, anderthalb Jahrzehnte gleichsam unter den Bodendielen zu leben.
»Wie Ratten.« Eberhard seufzte und fuhr mit den Fingern über die Karte. Kraus konzentrierte sich wieder auf ihre Angriffspläne. »Und selbstverständlich werden sie mehr als einen Zugang zu ihrem Bau haben.«
Kraus starrte auf die Strecke, die Eberhard ihm zeigte, und sah dann aus dem Fenster auf den Viehhof. Er räumte ein, dass sie im Moment Ilse nichts anhaben konnten. In der ganzen Zeit war sie nur einmal wirklich gesichtet worden. Diese große, rothaarige »Krankenschwester« mit dem pockennarbigen Gesicht war so schlüpfrig wie ein Aal. Aber Magda hatte er mit eigenen Augen gesehen. Sie war kein Aal. Allerdings konnte sie durchaus gefährlich werden, wenn man sie in die Enge trieb. Nur würde es ihr nicht gelingen, davon zu schlüpfen. Sie würden sie erwischen. Und hoffentlich lebend.
Es erwies sich als eine sehr gute Idee, dass Kraus Gunther angewiesen hatte, bei ihrem Erkundungsgang neulich nachts Skizzen des Geländes anzufertigen, das sie unter der Knochengasse gefunden hatten. Als sie jetzt diese Skizzen mit den Blaupausen des Viehhofs verglichen und diese beiden Karten wiederum mit den Leitungsplänen der Wasserwerke, bekamen sie eine ungefähre Vorstellung, was unter dieser kleinen Straße vorging. Sie hatten den Lageplan eines zweistöckigen unterirdischen Bunkers vor sich. Kraus brach der kalte Schweiß aus, als er es begriff; die Köhler-Kinder hatten das unterirdische Verlies ihrer Kindheit neu geschaffen, vergrößert und verbessert.
Wie sie jedoch möglichst schnell darin eindringen sollten, ohne Magda die Chance zur Flucht zu geben, war die Herausforderung,der sie sich nun gegenübersahen. Abgesehen von einer offenbar versteckten Zufahrt gab es zumindest einen weiteren Weg hinein und heraus, das wussten sie, nämlich eine Verbindung zu den Abwasserkanälen und Überlaufkanälen der Stadt. Immerhin waren etliche ziemlich große Jutesäcke voller Knochen durch
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