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Kindersucher - Kriminalroman

Kindersucher - Kriminalroman

Titel: Kindersucher - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Jetzt sehen Sie mich nicht so an, als wäre ich Attila, der Hunne.« Von Hessler spießte einen Apfelschnitz auf und hielt ihn sich vor den Mund. »Diese Kinder müssen nicht leiden. Habe ich nicht recht, Ilse?« Er schob den Apfelschnitz in den Mund und blinzelte mit seinem gesunden Auge, während er kaute.
    »Die Jungen haben es hier besser als draußen.« Ilse verzogdie Nase, als sie an der Mündung der Waffe schnupperte. »Sie würden ihr Leben geben, um hierher kommen zu dürfen.«
    Von Hessler grinste sie herablassend an.
    »Meine Arbeit, Inspektor«, er spie ein Stück Apfelgehäuse auf den Teller, »erfordert äußerste Ruhe. Jeglicher Stress ist kontraproduktiv für meine Zwecke. Bei vierzehn Milliarden Neuronen, die alle vielfachen Einflüssen ausgeliefert sind, kann jede Irritation das Ergebnis verfälschen. Diese Jungen empfinden keinerlei Unbehagen. Überzeugen Sie sich selbst.« Er überlegte, welchen Apfelschnitz er als Nächstes aufspießen sollte. »Elektroden können ohne jegliches Schmerzempfinden an jeder beliebigen Stelle des Gehirns befestigt werden.«
    Kraus blickte zu einem Kind in dem Glaskasten neben ihm. Es stimmte, das Gesicht des Jungen zeigte keinerlei Anzeichen von Schmerz, aber es zeigte auch kein Zeichen von Leben, außer dass das Kind atmete und sein Gesicht zuckte. Und ebenso wenig schien der Junge zu begreifen, in welcher Lage er sich befand, nämlich dass man seine Schädeldecke entfernt hatte.
    »Und die Welten, die unter diesen Schädeldecken zutage treten, Inspektor ... Kann es ein mysteriöseres Reich auf Erden geben?«
    Ilse konnte ihre Aufregung offenbar nicht länger unterdrücken, sie schnappte sich das Messer von dem Teller und näherte sich Kraus damit.
    »Diese ganze weiße und graue Substanz!« Sie wimmerte fast, während sie ihn gebieterisch umkreiste. »Und all diese empfindlichen Windungen und Furchen in all diesen ... wie nennt man das noch mal, Doktor?«
    »Hirnlappen.« Von Hessler kaute genüsslich seinen Apfel, sichtlich amüsiert, hielt jedoch die Mauser nach wie vor auf Kraus gerichtet.
    »Ach ja, richtig.« Ilse legte die Klinge auf Kraus’ Schädeldecke,was ihn bis ins Mark erzittern ließ. »Es gibt einen Stirnlappen.« Sie berührte einen anderen Teil seines Kopfes, diesmal etwas nachdrücklicher. »Und einen Parietallappen. Und einen, der die Nachrichten vom Auge empfängt, stimmt’s, Doktor?«
    »Sehr gut, Ilse.«
    »Er bildet mich zur Neurochirurgin aus.« Ilse stellte sich auf die Zehenspitzen, bis sich Kraus’ und ihre Nase fast berührten. »Aber wir haben leider nie genug Übungsmaterial zur Verfügung.«
    Kraus sah in ihren grauen Augen nicht nur die berüchtigte Kindesentführerin, die Schrecken in ganz Berlin verbreitete, sondern auch ein gequältes Kind. Wie bei allen Köhler-Geschwistern: Magda, blutüberströmt, eine moderne Medea, die Kinder fraß, um sie zu beschützen; Axel, ein rachsüchtiger Minotaurus, der sie in wahnsinnigem Hass in den Tod trieb.
    »Ich glaube, der Inspektor hat für heute genug Anatomiestunden gehabt.« Von Hessler bedeutete Ilse, ihm das Messer zurückzugeben. »Er ist weit mehr an meiner Arbeit interessiert. Ein gebildeter Mann wird zweifellos die welterschütternde Kühnheit wertschätzen, die darin liegt. Er weiß, dass die Menschheit seit undenklichen Zeiten danach strebt, die Beziehung zwischen Körper und Geist zu begreifen. Ich will nicht behaupten, eine einfache Formel dafür entdeckt zu haben. Ich bin nicht verrückt, Inspektor. Aber ich habe mit meinem einen Auge dorthin geschaut, wo zuvor niemand hinzusehen wagte. Tief in die Windungen des lebenden Gehirns ... in den Ursprung des Denkens selbst. Ich habe die Pfade des Lernens abgeschritten. Die Grundlage aller bedingten Reflexe. Sie glauben mir nicht? Ilse!«
    Ilse sprang auf, als hätte sie Fleisch gewittert.
    »Eine Demonstration.«
    Sie stand vor einer Art von Kontrollbord und rollte die Ärmel hoch. Dann betätigte sie irgendwelche Schalter, während sieden Kopf auf die Seite legte, so als würde sie weit entfernte Musik hören.
    »Umhüllt von der Hirnrinde«, von Hessler schien sich an ein imaginäres Publikum aus Kollegen zu richten, »habe ich die Schicht entdeckt, die für menschliches Verhalten verantwortlich ist, eine ganze Kette von Befehls- und Kontrollzentren, die die motorischen Aktivitäten steuern. Wenn ich sie mit elektrischen Impulsen bearbeite, kann ich Aktionen erzeugen, die normalerweise nur willentlich vorgenommen werden. Zum

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