Kindersucher - Kriminalroman
Fall gute Arbeit geleistet. Außerdem hatte er eine Beförderung für sich herausgeholt und darüber hinaus einen verdammt gutenAssistenten bekommen – also war es letztlich für ihn ein glückliches Ende. Der einzige Haken war natürlich die Hirtin. Sie war bis jetzt nicht gefunden worden. Man hatte sie nirgendwo gesehen und nach dem Feuer keine einzige Spur von ihr entdeckt, auch keine Überreste. Aber andererseits waren auch die sterblichen Überreste der Jungen im obersten Geschoss, die in ihren Glaskäfigen in jener Nacht eingesperrt gewesen waren, niemals identifiziert worden. Der ganze Turm war in einer Flammenhölle zusammengebrochen. Es hatte zahllose Zeugen gegeben, die diese mittlerweile berüchtigte Rothaarige gesehen haben wollten: in Frankfurt, in Leipzig, beim Mittagessen auf dem Potsdamer Platz. Aber da ihr Bild, ein altes Ausweisfoto, in ebenso vielen Zeitungen aufgetaucht war wie das von Kraus, war er persönlich davon überzeugt, dass die letzte Überlebende der Köhler-Geschwister sich hüten würde, ihr Gesicht noch einmal in Deutschland zu zeigen, falls sie überhaupt ihre Flucht durch das verqualmte Treppenhaus überlebt hatte.
Der Fall war gelöst. Gott sei Dank.
Aber nicht aller Verdienst gebührte Kraus.
Zwei Tage, nachdem er seinen Sohn wiederbekommen hatte, schlenderte Kraus über den Alexanderplatz zu der Stelle, wo die Statue der mittlerweile entfernten Berolina einmal gestanden hatte. Kai und seine Roten Apachen waren immer noch da, scharten sich um das leere Podest, lachten und sangen zu einer Gitarre, die einer von ihnen irgendwie organisiert hatte. Kraus nahm den Jungen zur Seite und bedankte sich bei ihm aus vollem Herzen.
»Aber wirklich, Inspektor.« Kai war nicht nur überrascht, sondern gerührt. »Sie haben mir geholfen. Ich habe Ihnen geholfen.« Sein rosa geschminkter Mundwinkel zitterte ein wenig. »So sollte es doch sein, nicht wahr?«
Seit der Junge die »Häuptlingswürde« angenommen hatte, schien er nicht nur an Selbstvertrauen gewonnen zu haben,sondern auch an Größe. Er ist bestimmt fünf Zentimeter gewachsen, schätzte Kraus. Seine Schultern wirkten breiter, sein Gesicht voller. Er trug immer noch Make-up, aber nicht mehr so viel wie vorher. Aus irgendeinem Grund wirkte es jetzt weniger wie eine Maske, sondern mehr wie ein Erkennungsmerkmal.
»Was du getan hast, erforderte Mut, Kai. Wärst du nicht gewesen, wäre ich jetzt tot. Und mein Sohn auch. Und außerdem noch viele andere Jungen.«
»Ich weiß einfach, wie es ist, wenn man Angst hat, das ist alles.« Kai sorgte dafür, dass keiner der anderen Jungen ihre Gespräche belauschen konnte. »Ich habe die Angst in Ihren Augen gesehen. Man denkt nicht klar, wenn man zu viel Angst hat. Also dachte ich mir, ich sollte besser ein bisschen auf Sie aufpassen.«
»Du wirst ein großartiger Anführer werden.« Kraus griff in seine Tasche. »Und ich finde, dein Mut sollte nicht unbelohnt bleiben.«
Er zog eine kleine Samtschachtel hervor und gab sie Kai. Er hatte während des Krieges zahlreiche Orden bekommen, nicht nur ein Eisernes Kreuz, sondern auch den goldenen Verdienstorden des Staates Preußen, Pour le Mérite . Das Malteserkreuz war blau emailliert und mit Gold bordiert. Auf dem oberen Balken war ein gekröntes F für Friedrich der Große eingraviert, und in den drei anderen die Worte Pour le Mérite . In den Winkeln befanden sich goldene Adler. Der Orden an sich war ein kleines Kunstwerk, und Kraus hatte vorgehabt, ihn seinen Söhnen zu schenken. Aber Kai hatte ihn verdient.
»Sie wollen mir das schenken?« Mascara flatterte in Streifen von seinen Augenlidern.
»Als eine Art Ehrenabzeichen.« Kraus salutierte und schlug klackend die Absätze zusammen. »Sollten es die Zeiten jemals erfordern, Kai«, murmelte er, während er dem Häuptling denOrden an die Brust heftete, »dürfte er ein üppiges Sümmchen auf bestimmten Märkten einbringen, wenn du weißt, was ich meine.«
Kinderlachen mischte sich in das Rauschen des Märchen-Springbrunnens. Aber Kraus fühlte sich bei aller Dankbarkeit auf dieser sonnigen Parkbank alles andere als glücklich. Zwischen ihm und Vicki klaffte immer noch eine stumme Kluft, und dieser Umstand schmerzte ihn höllisch.
Obwohl sie es bestritt, wusste er, dass sie nicht aufhören konnte, sich selbst die Schuld für das zu geben, was passiert war. Dass sie geschlafen hatte, während Heinz und Erich weggelaufen waren. Ebenso wenig konnte sie aufhören, die Winkelmanns dafür
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