Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
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1. Es gab bereits zu viele; jedes Jahr wurde ein Haufen neuer Romane veröffentlicht, einmal ganz zu schweigen von den Tausenden, die geschrieben, aber nie publiziert wurden.
2. Einen Roman zu schreiben, erforderte einen enormen Arbeitsaufwand, die Anerkennung für diese Leistung dagegen fiel sehr dürftig aus, sofern die ganze Arbeit nicht mit einem einzigen vernichtenden Satz vom Tisch gefegt wird.
3. Vom Schreiben wurde niemand reich, bestenfalls verdiente der Schriftsteller genug für ein schickes Abendessen oder einen Urlaub; Schriftsteller, die von ihrer Arbeit leben konnten, waren eine vom Aussterben bedrohte Art wie der Schneeleopard oder das Zwergflusspferd.
Die beiden letzten Argumente strich sie; sie sah schon Francis Van Acker sarkastisch vor ihr stehen und erklären: „Soll das heißen, Ihrer Meinung nach, Mademoiselle Servaz, hätte die Hälfte der Genies unserer Literatur besser nicht geschrieben?“ Zweitens … Zweitens … sie musste passen … Sie musste unentwegt an das denken, was draußen vor sich ging. War er da, irgendwo im Wald, und lauerte ihr auf? Hielt sich Julian Hirtmann wirklich in der Nähe auf, oder war ihre Panik grundlos? Sie dachte auch wieder an die Notiz, die Elias am Morgen in ihrem Schließfach hinterlegt hatte. „Ich glaube, ich habe den Kreis gefunden.“ Was wollte er damit sagen? Sie hatte versucht, mit ihm zu reden, aber Elias hatte ihr mit einer Geste und dem Wort „später!“ abgefertigt. Mann, Elias, du nervst!
Ihr Blick fiel auf das kompakte schwarze Gerät, das auf dem Bett lag. Ein Walkie-Talkie … Samira hatte es ihr gegeben und ihr gezeigt, wie man es bediente. „Du kannst mich wirklich jederzeit ohne Bedenken anrufen“, hatte sie gesagt.
Sie mochte Samira mit ihrem gewöhnungsbedürftigen Gesicht und ihren schrillen Klamotten. Margot sah noch einmal auf den Apparat. Schließlich nahm sie ihn in die Hand, hielt das Mikrophon an den Mund und drückte mit dem Daumen die seitliche Taste.
„Samira?“
Sie ließ die Taste los, um die Antwort der Polizistin hören zu können.
„Ja, mein Häschen. Ich bin da … Was gibt´s, meine Liebe?“
„Äh … ich … ich …“
„Du fühlst dich allein in deinem Zimmer, seit deine Mitbewohnerin ausgezogen ist, oder?“
Ins Schwarze getroffen …
„Nicht gerade cool von ihr …“ Es rauschte. „Mich juckt´s am ganzen Körper. Hier ist alles voller Stechmücken. Außerdem ist hier ziemlich trockene Luft. Ich habe zwei kalte Bier in einer Kühlbox. Hättest du Lust? Wir brauchen es ja nicht dem Direktor oder deinem Vater auf die Nase zu binden, und außerdem hat er mich gebeten, dich aus der Nähe zu beobachten …“
Ein Lächeln erhellte Margots Gesicht.
Er war zu müde, um nach Toulouse zurückzufahren. Er fragte sich, ob er um diese Uhrzeit ein Hotelzimmer finden würde, dann fiel ihm etwas anderes ein. Aber nein, das war keine gute Idee, sie hätte ihn doch angerufen, wenn sie ihn hätte sehen wollen – dann dachte er, dass es ihr vielleicht genauso ginge wie ihm: Sie wartete sehnsüchtig auf seinen Anruf. Angst, Zweifel und das Verlangen, sie zu sehen, quälten ihn. Er nahm sein Handy heraus, sah auf die Zeitanzeige in der Ecke des Displays und steckte es wieder weg. Er wollte sie nicht mitten in der Nacht wecken. Aber vielleicht schlief sie ja gar nicht … Vielleicht wachte sie jede Nacht auf, so, wie sie vor zwei Nächten aufgewacht war, als er in ihrem Bett lag. Vielleicht hoffte sie, wünschte sie sich, dass er anrief, und stellte sich die gleichen Fragen wie er: Warum rief er nicht an? Wieder schmeckte er ihren Mund auf seinen Lippen, spürte ihre Zunge, roch den Duft ihrer Haare und ihrer Haut, und ihn überkam ein unbezwingbares Verlangen nach ihr.
„Ich pack´s dann“, sagte er zu Espérandieu am Telefon. „Gute Nacht.“
Er sah, wie sein Mitarbeiter ihm von da hinten ein Zeichen gab und mit schweren Schritten zu seinem Auto zurückging. In einer Stunde würden er und Samira von einem anderen Team abgelöst. Er dachte an die schlafende Margot. Und was machte wohl Hirtmann in diesem Moment? Schlief er? Streifte er irgendwo umher, auf der Suche nach einem Opfer? Hatte er schon eines gefunden und hatte es eingesperrt, um mit ihm zu spielen wie eine Katze mit einer Maus? Diesen Gedanken vertrieb er. Er hatte zu Vincent gesagt, er sollte sich verstecken, aber nicht allzu sehr. Jemand, der nach Anzeichen einer Überwachung suche, sollte ihn ruhig entdecken können. Er glaubte
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