Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
Erklärung.“
„Charlène, ich will, dass du weißt …“
„Sei still, hab ich gesagt.“
Die Bedienung, die zum Kassieren gekommen war, ging schnell wieder.
„Es stimmt ja“, fügte sie hinzu. „Wir sind weder verheiratet … noch ein Liebespaar … oder etwas in der Art …“
Er schwieg.
„Wen interessiert schon, was ich empfinde?“
„Charlène …“
„War es wirklich so einseitig, Martin? Hast du nie das Geringste empfunden? Hab ich geträumt? Hab ich mir alles nur eingebildet?“
Er sah sie an. Sie war in diesem Moment hinreißend schön. Jeder normale Mann hätte sie begehrt. Im Umkreis von hundert Kilometern gab es keine begehrenswertere Frau als Charlène Espérandieu. Gewiss buhlten unzählige Männer um ihre Gunst, obwohl sie verheiratet war. Warum dann ausgerechnet er?
Während dieser langen Monate hatte er sich selbst belogen. Ja, er hatte etwas empfunden … Ja, vielleicht war sie wirklich die Frau, die er suchte … Ja, er hatte öfter an sie gedacht, als gut für ihn war, und er hatte sie sich in dem Bett vorgestellt, in dem er allein schlief – und an vielen anderen Orten. Aber da war Vincent. Und Mégan. Und Margot. Und alles Übrige.
Nicht jetzt …
Auch sie musste spüren, dass der Zeitpunkt ungünstig war, denn sie wechselte das Thema.
„Glaubst du, es besteht eine Gefahr für uns, für … Mégan?“, fragte sie.
„Nein. Hirtmann ist auf mich fixiert. Er wird nicht alle Polizisten von Toulouse Revue passieren lassen.“
„Und wenn er nicht an dich herankommt?“ Sie wirkte plötzlich besorgt. „Wenn er so gut informiert ist, wie ihr sagt, dann muss er wissen, dass Vincent dein Freund und dein engster Mitarbeiter ist, hast du daran gedacht?“
„Ja, natürlich habe ich daran gedacht … Im Moment wissen wir nicht einmal, wo er sich aufhält. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass die geringste Gefahr besteht. Vincent ist Julian Hirtmann nie begegnet. Für den existiert er gar nicht. Seid einfach ein bisschen wachsamer, das ist alles. Wenn du willst, sag doch in Mégans Schule Bescheid, sie sollen darauf achten, dass kein Fremder Kontakt zu ihr sucht, und sie nicht allein lassen.“
Er hatte darum gebeten, Margot zu überwachen. Sollte er alle Personen, die ihm nahestanden, überwachen lassen? Vincent, Alexandra?
Plötzlich dachte er an Pujol. Er hatte ihn schon wieder vergessen! Observierte er ihn gerade? Was würde Pujol wohl denken, wenn er sähe, wie sich Charlène und sein Chef auf einer Caféterrasse offenkundig angeregt unterhielten, während von ihrem Ehemann nichts zu sehen war? Pujol hasste Vincent. Servaz war sicher, dass er die Neuigkeit umgehend ausplaudern würde.
„Mist!“, sagte er.
„Was ist los?“
„Ich hatte ganz vergessen, dass ich selbst beschattet werde.“
„Von wem?“
„Von Leuten aus meiner Abteilung … Typen, die Vincent nicht besonders mögen …“
„Du meinst die, die du vor zwei Jahren in die Schranken gewiesen hast?“
„Mmm-mm.“
„Glaubst du, sie haben uns gesehen?“
„Ich weiß nicht. Aber ich will kein Risiko eingehen. Du stehst auf, und wir verabschieden uns per Handschlag.“
Sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
„Das ist doch lächerlich.“
„Charlène, bitte.“
„Wie du willst … Pass auf dich auf, Martin. Und auf Margot …“
Er sah, wie sie zögerte.
„Und ich will, dass du weißt, dass … ich da bin. Ich werde immer für dich da sein. Jederzeit.“
Sie rückte ihren Stuhl zurück, stand auf und reichte ihm auf sehr förmliche Weise über dem Tisch die Hand. Sie wandte sich nicht um, und er sah ihr nicht nach.
34
Vor dem Anpfiff
Um 10.30 Uhr hatte er einen Termin im Dezernat Interne Ermittlungen. #Kommissar Santos wollte ihn doch tatsächlich wegen einer Depression bei einer Psychologin zwangsbehandeln lassen. Er hatte ihm ordentlich die Meinung gesagt.
Als er bei Santos fertig war, fuhr er mit dem Aufzug in den zweiten Stock zu seinem Büro.
„Stehlin will dich sprechen“, sagte ihm einer der Beamten des Dezernats auf dem Flur.
In Grüppchen redeten sie schon wieder über Fußball. Servaz schnappte die Wörter „entscheidend“, „Domenech“ und „Nationalelf“ auf …
„Offenbar war die Stimmung ziemlich gereizt, als er die Aufstellung bekanntgegeben hat.“
„Pah, wenn wir gegen Mexiko nicht gewinnen, verdienen wir es gar nicht, weiterzukommen“, sagte ein anderer.
Konnten sie mit diesen Diskussionen nicht warten, bis sie in der Eckkneipe waren?, dachte
Weitere Kostenlose Bücher