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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Ergriffenheit. „Ein Kleinod. Da war alles drin … ALLES. Zärtlichkeit, Feingefühl, Grausamkeit, Respektlosigkeit, Vitalität, Stil, Exzess, Intellektualität, Emotion, Ernst und Leichtigkeit. Das hätte von einem Schriftsteller auf dem Gipfel seines künstlerischen Könnens sein können, und dabei warst du erst zwanzig! Ich habe diese Seiten aufgehoben. Ich hätte sie nie wegwerfen können. Aber ich habe es nie fertiggebracht, sie noch einmal zu lesen. Ich erinnere mich, dass ich geheult habe, als ich sie las, Martin. Ich schwöre dir: Ich habe in meinem Bett geheult, ich hielt deine Blätter in meinen zitternden Händen, und ich habe geschrien vor Neid, ich habe Gott verflucht, weil er dich auserwählt hatte, diesen naiven und sentimentalen kleinen Blödmann … Ein bisschen wie diese Märchen über Mozart und Salieri, verstehst du? Du mit deiner braven, etwas begriffsstutzigen Art, du hattest alles: Du hattest Talent und du hattest Marianne. Gott ist ein verdammter Mistkerl, wenn er sich ins Zeug legt, findest du nicht? Er drückt auf die Stellen, an denen es weh tut. Also ja, ich habe alles daran gesetzt, dir Marianne wegzunehmen – weil ich wusste, dass ich dein Talent nie besitzen würde. Und ich wusste, wie ich bei ihr landen konnte … Es war ganz leicht … Du hast alles dafür getan, dass man sie dir wegnahm.“
    Servaz hatte das Gefühl, das Zimmer um ihn herum würde sich drehen, und eine Faust würde so fest gegen seine Brust drücken, dass sie gleich bersten würde. Er musste um jeden Preis die Kontrolle behalten – es war nicht der Moment, um sich den Gefühlen zu überlassen. Darauf wartete Francis ja nur.
    „ Martin … Martin … “, sagte Francis hinter ihm – und sein übertrieben freundlicher, trauriger und unumstößlicher Tonfall ließ ihn plötzlich erschauern.
    In seiner Jackentasche summte das Handy. Nicht jetzt! Das Spiegelbild bewegte sich wieder. Das Summen in seiner Tasche ließ nicht nach … Er steckte die Hand in seine Jacke, nahm das Handy heraus und ging dran, während er das Spiegelbild weiterhin aus den Augenwinkeln beobachtete.
    „Servaz!“
    „Was ist los?“, fragte Vincent besorgt. Er hatte die Anspannung in der Stimme seines Chefs bemerkt.
    „Nichts. Ich höre.“
    „Wir haben das Ergebnis des graphologischen Vergleichs.“
    „Und …?“
    „Wenn die Anmerkungen in Margots Arbeit tatsächlich von ihm sind, hat Francis Van Acker den Satz nicht in dieses Heft geschrieben.“
     
    Elias hatte das Auto am Straßenrand geparkt, und nun betrachteten er und Margot die schmalere Abzweigung, in der Sarah, David und Virginie verschwunden waren. Sie führte steil bergauf. Auf einem Schild stand: „Staudamm von Néouvielle, 7 km“. Durch das offene Fenster hörte Margot den nahen Fluss, der im Schatten gleich unterhalb der Straße rauschte.
    „Was sollen wir tun?“, fragte sie.
    „Wir warten.“
    „Wie lange?“
    Er sah auf die Uhr.
    „Fünf Minuten.“
    „Ist diese Straße eine Sackgasse?“
    „Nein. Sie führt über einen Pass in 1800 Metern Höhe in ein anderes Tal. Vorher geht es über den Staudamm von Néouvielle und am gleichnamigen See entlang.“
    „Wir könnten sie verlieren.“
    „Das Risiko müssen wir eingehen.“
     
    „Du dachtest, dass ich es war.“
    Er traf diese Feststellung gänzlich ungerührt. Servaz betrachtete die Flasche in Francis´ Hand. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit. Whisky. Es war eine hübsche kleine Glaskaraffe. Schwer … Hatte er die Absicht gehabt, sie zu benutzen? In der anderen Hand hielt Francis ein Glas. Er füllte es zur Hälfte. Seine Hand zitterte. Van Acker umfing Servaz mit einem schmerzerfüllten, verächtlichen Blick.
    „Verschwinde.“
    Servaz rührte sich nicht.
    „Hau ab, sag ich dir. Zieh Leine! Wieso bin ich überhaupt überrascht? Schließlich bist du nur ein Bulle. “
    Genau , dachte er. Genau, ich bin ein Bulle. Er ging mit schweren Schritten zur Tür. Als er die Hand auf die Klinke legte, drehte er sich um. Francis Van Acker sah ihm nicht nach. Er trank seinen Whisky und fixierte einen Punkt an der Wand, den nur er alleine sah. Er wirkte unendlich einsam.

38
     
    Der See
    Ein glatte silberne Fläche, in der sich die Wolken, die untergehende Sonne und die gezackten Bergrücken spiegelten. Margot meinte Töne zu hören: Das Geläut von Kirchen- und Almglocken, splitternde Scheiben, dabei waren es in Wirklichkeit nur Lichtspiele. Die Wellen umspülten die steilen Ufer im abendlichen Halbdunkel.
    Elias

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