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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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später fuhr der rote Spider lautlos an ihm vorbei. Auf einem steinernen Pfeiler begann eine Lampe zu blinken, die ein orangefarbenes Licht auf den Gehsteig warf, und das Tor öffnete sich langsam. Der Alfa Romeo verschwand im Innern.
    Servaz wartete, bis die Lichter hinter den Fenstern angingen, dann stieg er aus dem Wagen. Ohne Eile überquerte er die menschenleere Straße, der Asphalt schluckte die Geräusche seiner Schritte. Auf der anderen Seite des Pfeilers war ein Türchen. Er drückte die Klinke, und das Türchen ging leise auf. Das einzige Geräusch war das Tosen seines Blutes, als er den gepflasterten s-förmigen Pfad zwischen den Blumenbeeten, der Pinie und der Weide hinaufging. Um diese Uhrzeit waren sie nur schwarze Silhouetten, die das Licht von den Straßenlaternen weiter unten abhielten. Die riesige Pinie ragte wie ein Totempfahl empor, wie der Wächter dieses Ortes. Nach drei Betonstufen gelangte Servaz zu der erhöhten, von Blumenbeeten eingefassten Terrasse. Hin und wieder drang das ferne Geräusch eines Fernsehers irgendwo in einem Nachbarhaus an sein Ohr. Sportkommentare und das Geschrei einer übermäßig erregten Menge. Das WM-Spiel, dachte er. Er läutete. Hörte innen das Echo einer Glocke. Wartete einen Moment. Dann ging die Tür auf, ohne dass er Schritte hätte kommen hören, und fast zuckte er zusammen, als jäh die Stimme von Francis Van Acker ertönte.
    „Martin?“
    „Stör ich?“
    „Nein. Komm rein.“
    Francis ging vor ihm her. Er trug einen Morgenmantel aus Satin, der an der Taille gebunden war. Servaz fragte sich, ob er darunter nackt war.
    Er sah sich um. Nach dem äußeren Eindruck des Hauses hätte man ein gänzlich anderes Interieur erwartet. Alles war modern. Schnörkellos. Leer. Graue, fast kahle Wände, ein heller Fußboden, Chrom, Stahl und dunkles Holz an den wenigen Möbeln. Strahlerschienen an der Decke. Auf den Treppenstufen Bücherstapel. Die großen Glasfenster zur Veranda waren geöffnet, und aus der Nachbarschaft drangen Geräusche bis zu ihnen – beruhigende Anzeichen von Normalität, gewöhnlichem Leben, Echos von spielenden Kindern, das Kläffen eines Hundes und derselbe Fernseher wie vorhin. Ein Sommerabend … Im Gegensatz dazu erschienen die Stille und die Leere im Haus nur umso bedrückender. Sie sprachen die Sprache der Einsamkeit. Einer Existenz, die vollständig auf sich selbst bezogen war. Servaz spürte, dass schon lange kein Besuch mehr hier gewesen war. Francis Van Acker schien sein Unbehagen zu bemerken, denn er machte den Fernseher an, schaltete ihn stumm, und legte eine CD in die Stereoanlage.
    „Willst du was trinken?“
    „Einen Kaffee, stark, mit Zucker. Danke.“
    „Setz dich.“
    Servaz ließ sich in eines der Sofas der Fernsehecke fallen. Er erkannte das Stück, das nach einigen Sekunden in dem Zimmer zu hören war: Nocturne für Klavier Nr. 7 in Cis-Moll . Eine Spannung durchzog diese Musik, in der die tiefen Töne überwogen. Kalt lief es Servaz den Rücken hinunter.
    Francis kam mit einem Tablett zurück, schob die Kunstbände auf dem Couchtisch beiseite und stellte die Kaffeetassen vor sie. Behutsam schob er Martin die Zuckerdose hin. Servaz fielen die Kratzspuren zwischen seinem Hals und den Schultern auf. Stumme Werbespots flimmerten über den Großbildfernseher, dann sah er die Spieler der französischen Nationalmannschaft zur zweiten Halbzeit auflaufen.
    „Was führt dich zu mir?“
    Sein Gastgeber sprach laut, um die Musik zu übertönen.
    „Kannst du dieses Zeug nicht etwas leiser stellen?“, stieß Servaz hervor.
    „Dieses Zeug, wie du sagst, ist ein Stück von Chopin. Und nein: Ich mag es so. Also?“
    „Ich brauche deine Meinung!“, schrie nun Servaz.
    Van Acker, der auf der breiten Armlehne saß, schlug die Beine übereinander. Er hob die Tasse an den Mund. Servaz wandte den Blick von seinen nackten Füßen und seinen Waden ab, die so glatt waren wie die eines Radfahrers. Francis starrte ihn nachdenklich an.
    „Worüber?“
    „Diesen Mord.“
    „Wie weit seid ihr?“
    „Wir stehen mit leeren Händen da. Unser Hauptverdächtiger war es nicht.“
    „Du musst mir schon ein bisschen mehr sagen, wenn ich dir helfen soll.“
    „Ich brauche deine Meinung eher in einer theoretischen, allgemeinen Frage als in praktischer Hinsicht …“
    „Mhm. Ich höre.“
    Servaz ging das Bild des roten Alfa Romeo Spider, der um drei Uhr morgens aus Mariannes Garten herausschoss, durch den Kopf. Schleunigst schob er es weg. Die

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