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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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unter einem unheimlichen Knacken nachgegeben hatten und der Bus unter dem Zähneknirschen eines Sterbenden Richtung See gerutscht war. Als er unter den Schreien derer, die noch im Innern gefangen waren, in den schwarzen Fluten versank, und dann das Scheinwerferlicht, das noch stundenlang aus dem Wasser herauf leuchtete.
    Man hatte sie wegbringen wollen, aber alle hatten sich geweigert, schon damals hielten sie fest zusammen; sie hatten sich einmütig den Erwachsenen widersetzt und aus der Ferne die vergeblichen Rettungsversuche miterlebt, bis die Leichen ihrer ertrunkenen kleinen Kameraden, die nicht in der verbeulten Karosserie eingeklemmt waren, zur Oberfläche aufstiegen und in den schillernden Kräuselwellen hoch über dem Zyklopenauge des Busscheinwerfers trieben, der vom Grund des Sees heraufstrahlte. Einer, dann zwei, dann drei, dann ein gutes Dutzend kleiner Körper, die wie Luftballons hochstiegen, bis jemand geschrien hatte: „Schafft verdammt noch mal die Kinder hier weg!“ Es war an einem Juniabend, einem Abend, der für die Wiederkehr der Freiheit hätte stehen sollen, das Ende des Schuljahrs, den Beginn der Ferien: die aufregendste Zeit des Jahres.
    In der psychologischen Station des Krankenhauses von Pau, in dem sie einen Teil des Sommers verbracht hatten, um sich zu erholen, war der Kreis entstanden. Obwohl es ihnen damals noch nicht bewusst war, war der Prozess hier in Gang gekommen. Die Idee war ihnen ganz spontan gekommen, ohne dass sie sich absprechen mussten. Instinktiv, ohne dass es irgendwelcher Worte bedurfte, hatten sie verstanden, dass man sie nie mehr trennen konnte. Dass das Band, mit dem das Schicksal sie verbunden hatte, sehr viel stärker war als die Bande des Blutes, der Freundschaft oder der Liebe. Der Tod schmiedete sie zusammen. Er hatte sie verschont, und er hatte sie füreinander bestimmt. Sie hatten in dieser Nacht begriffen, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen konnten. Sie hatten den Beweis dafür geliefert bekommen. Erwachsenen kann man nicht trauen.
    David spürte, wie die sanfte Brise des Sees über sein Gesicht strich und seine Tränen trocknete, er spürte die warmen Hände von Virginie und Sarah in seinen eigenen und – durch sie – die Wärme der Gruppe. Dann erinnerte er sich, dass sie heute Abend nicht zu zehnt waren. Sondern nur neun. Jemand fehlte. Hugo … Sein Bruder, sein Doppelgänger … Hugo, der trotz aller entlastenden Indizien im Gefängnis schmachtete. Er musste ihn da herausholen. Und er wusste, wie er dabei vorgehen musste. Er war der Erste, der aus dem Kreis ausbrach, dann ließen Sarah und Virginie die Hände los, und so weiter – eine Kettenreaktion.
     
    „Mist!“, rief Elias aus, als er sah, dass sie sich bewegten. „Gleich sehen sie den Saab.“
    Er richtete sich auf, fasste sie bei der Hand und zwang sie aufzustehen.
    „Komm, wir wetzen los!“, rief er ihr ins Ohr. „Sie brauchen eine Zeitlang, bis sie das Mädchen im Rollstuhl zum Van gefahren haben.“
    „Es sei denn, David, Virginie und Sarah gehen vorher los. Dann sind sie vor uns beim Auto. Und außerdem sind wir zu nahe … Wenn wir abhauen, hören sie uns!“, murmelte Margot leise.
    „Wir sitzen in der Falle“, stellte Elias düster fest.
    Sie sah, dass sein Gehirn auf Hochtouren arbeitete.
    „Glaubst du, sie erkennen dein Auto?“, fragte sie.
    „Ein Auto, das um diese Uhrzeit ganz allein auf dem Parkplatz steht? Das müssen sie gar nicht erkennen. Sie sind auch so schon paranoid genug.“
    „Kennen sie dein Auto oder nicht?“, hakte sie nach.
    „Verdammt, ich weiß es nicht! Es gibt auf der Penne Dutzende von Karren. Und ich bin für sie nur ein unbedeutender Schüler im ersten Jahr … Im Gegensatz zu dir, die alle Blicke auf sich zieht“, fügte er hinzu.
    Sie sah, wie sie am Straßenrand entlanggingen und sich, lebhaft miteinander plaudernd, entfernten.
    „Niemand achtet auf uns: Komm, wir laufen los! Aber sei leise!“
    Sie stand auf und lief so lautlos wie möglich im Zickzack durch das Gestrüpp und über die Unebenheiten im Gelände.
    „Wir schaffen es nicht!“, sagte er, als er sie auf dem Fußweg eingeholt hatte. „Auf dem Hang haben wir sie gleich direkt hinter uns, und da merken sie es!“
    „Ich habe eine andere Idee!“, rief sie ihm zu, dann begann sie auf dem Weg loszuspurten.
    Er eilte ihr hinterher. Er hatte längere Beine, aber sie raste los, als säße ihr der Teufel im Nacken. Sie rannte den Hang hinunter bis an den Saab, riss die

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