Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
Vom Netzwerk:
die nackten Füße blutig. Schon bald erreichte sie noch einen Bach, in dessen Bett ein Chaos von Birken und Haselnusssträuchern herrschte, die der letzte Sturm entwurzelt hatte. Nur mit größter Mühe konnte sie sich dazwischen hindurchschlängeln, über sie hinwegsteigen; Zweige, spitz wie Dolche, rissen ihr die Waden auf, und ihre Zehen krümmten sich auf den scharfkantigen Steinen und den dürren Holzstücken.
    Wieder ein Pfad auf der anderen Seite. Außer Atem beschloss sie, ihn zu nehmen. Sie hoffte noch immer, jemandem zu begegnen, und es war einfach zu anstrengend, sich durch das Unterholz zu kämpfen.
    Ich will nicht sterben …
    Sie lief, stolperte, rannte weiter.
    Sie lief, um ihre Haut zu retten, ihre Lungen brannten, ihr Herz pochte so heftig, als könnte es jeden Moment zerreißen, ihre Beine wurden immer schwerer. Der Wald um sie herum wurde immer dichter, die Luft immer wärmer. Die Düfte des Waldes vermischten sich mit dem Geruch ihres eigenen bitteren Schweißes, der ihr in den Augen brannte. Sie hörte das Plätschern eines nahen Bachs. Sonst nichts. Hinter ihr Stille.
    Ich will nicht sterben …
    Dieser Gedanke besetzte den gesamten freien Raum in ihrem Kopf. Zusammen mit der Angst. Niederträchtig, unmenschlich.
    Ich will nicht … ich will nicht … ich will nicht …
    Sterben …
    Sie spürte bittere Tränen über ihre Wangen rinnen, ihr Puls schlug in ihrem Hals und ihrer Brust. Sie hätte Vater und Mutter getötet, um diesem Albtraum zu entrinnen.
    Und plötzlich machte ihr Herz einen Sprung. Da hinten war jemand …
    Sie schrie.
    „He! Warten Sie! Warten Sie! Hilfe! Helfen Sie mir!“
    Obwohl sich die Person nicht bewegte, erkannte sie sie klar und deutlich durch den Schleier ihrer Tränen. Eine Frau in einem zugeknöpften Strandkleid. Seltsamerweise war sie völlig kahlköpfig. Mit letzter Kraft versuchte sie sie zu erreichen. Die Frau rührte sich noch immer nicht. Ihr Blut wurde dickflüssig wie Sirup, als sie mit einem Male verstand.
    Das war keine Frau …
    Eine Schaufensterpuppe, an einen Baumstamm gelehnt. Erstarrt in einer künstlichen Pose wie in einem Schaufenster. Und sie erkannte das Kleid wieder, das die Puppe trug: Es war ihres, sie hatte es an dem Abend angehabt, an dem … Allerdings war es mit roter Farbe bespritzt worden.
    Sie spürte, wie sie die letzten Kräfte verließen, sie hatte das Gefühl, jemand saugte sie aus ihrem Körper heraus. Bestimmt hatte er in diesem verwunschenen Wald jede Menge weiterer Fallen aufgestellt, die genauso unheimlich waren. Sie war die Ratte im Labyrinth, sein Spielzeug – und er war da, ganz nah … Sie spürte, wie die Beine unter ihr versagten, und sank ohnmächtig zu Boden.

13
     
    Elvis
    Er parkte auf dem unteren Parkplatz und ging auf den Betonturm mit den Aufzügen zu, der in der Mitte stand. Das Universitätsklinikum Rangueil erhob sich wie eine Festung auf einem Hügel südlich von Toulouse. Von der langen, schmalen Fußgängerbrücke, die vom Parkplatz über die Bäume hinweg in die Klinik führte, hatte man einen eindrucksvollen Rundblick auf die tiefer gelegenen Universitätsgebäude und die Vororte der Stadt. Er überquerte den Grünstreifen in Richtung der mit einem filigran wirkenden Metallgitter kunstvoll geschmückten Fassade. #Wie so oft: außen hui, innen pfui, dachte Servaz mit Blick auf die erheblichen medizinischen und pflegerischen Defizite des französischen _Gesundheitssystems.
    Er ging rasch an der einzigen Cafeteria vorbei, in der sich Personal, Besucher und Patienten in Klinikkitteln mischten, und eilte durch lange Gänge zu den Innenaufzügen. Vergeblich versuchten gespendete Werke zeitgenössischer Künstler die Wände aufzuheitern: Die Kunst hat ihre Grenzen. Servaz sah die Kapellentür, an der die Sprechstunden des Krankenhauspfarrers ausgehängt waren. Er fragte sich, wie Gott wohl seinen Platz in dieser Welt fand, wo der Mensch auf eine Maschine reduziert wurde, wo er wie ein Motor zerlegt und wieder zusammengebaut und gelegentlich sogar auf dem Schrottplatz entsorgt wurde – nach Entnahme einiger Ersatzteile, um andere Motoren zu reparieren.
    Samira wartete vor den Aufzügen. Er war versucht, sich eine Zigarette anzustecken, aber sein Blick fiel auf das Verbotsschild an der Wand.
    „ Crash “, sagte er in der Fahrstuhlkabine.
    „Was?“, fragte Samira, deren offen im Rücken getragene Pistole alle Blicke auf sich zog.
    „Ein Roman von James G. Ballard. Die Verknüpfung von Chirurgie, Mechanik,

Weitere Kostenlose Bücher