Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
Rangueil eingeliefert. Dort ist er noch immer.“
22 Uhr … Um diese Uhrzeit war Claire bereits tot, und Hugo saß am Rand des Schwimmbeckens. Hätte Elvis Elmaz genügend Zeit gehabt, nach Toulouse zurückzufahren und eine Schlägerei anzuzetteln, um sich ein Alibi zu verschaffen? Woher hätte er in diesem Fall die Zeit nehmen sollen, Hugo unter Drogen zu setzen?
„Heißt er wirklich Elvis?“
Sie lachte laut auf.
„Ja. Ich habe mich erkundigt: Anscheinend ist das in Albanien ein recht geläufiger Name. Jedenfalls ist dieser Mistkerl näher an Jailhouse Rock als an Don´t be Cruel. “
„Hm“, brummte Servaz, der nicht ganz sicher war, ob er verstanden hatte.
„Und was sollen wir jetzt machen, Chef? Soll ich ihn befragen?“
„Du rührst dich nicht vom Fleck. Ich komme. Sorg nur dafür, dass das Krankenhaus ihn nicht auf freien Fuß setzt.“
„Keine Sorge: Ich werde mich wie eine Filzlaus an diesem dummen Sack festklammern.“
Zwischenspiel 1
Hoffnung
Die Hoffnung ist eine Droge.
Die Hoffnung ist ein Psychopharmakon.
Die Hoffnung ist ein Aufputschmittel, das viel stärker wirkt als Koffein, Kath, Mate, Kokain, Ephedrin, EPO, Speedball oder Amphetamine.
Die Hoffnung beschleunigte ihren Herzschlag, steigerte ihre Atemfrequenz, erhöhte ihren Blutdruck, erweiterte ihre Pupillen. Die Hoffnung regte die Hormonproduktion in ihren Nebennierendrüsen an, schärfte ihren Hör- und Geruchssinn. Die Hoffnung zog ihre Eingeweide zusammen. Ihr von Hoffnung gedoptes Gehirn registrierte plötzlich alles mit einer nie dagewesenen Schärfe.
Ein Schlafzimmer …
Es war nicht ihres. Einen ganz kurzen Moment hatte sie geglaubt, sie wäre bei sich zuhause aufgewacht, und diese endlosen Monate, die sie in diesem Kellerloch verbracht hatte, wären nur der Albtraum einer Nacht gewesen. Jetzt wäre der Morgen angebrochen und hätte sie wieder in ihr früheres Leben zurückversetzt, in ihren wunderbaren, banalen Alltag – aber dieses Schlafzimmer war nicht ihres.
Sie sah es zum ersten Mal. Ein unbekannter Raum.
Der Morgen. Sie wandte ein wenig den Kopf und sah, wie das Sonnenlicht zwischen den Übergardinen immer heller durch die Vorhänge hereinflutete. Die roten Ziffern des Weckers auf dem Nachttisch zeigten 6.30 Uhr an. Ein Spiegelschrank am anderen Ende des Zimmers. Sie hob den Kopf und sah im Spiegel ihre Füße, ihre Beine und dazwischen ihr Gesicht, das aussah wie ein kleines verängstigtes Tier im Halbdunkel.
Neben ihr lag jemand und schlief …
Die Hoffnung kehrte wieder. Er war eingeschlafen und hatte vergessen, sie in den Keller zurückzubringen, bevor die Droge, die er ihr verabreicht hatte, ihre Wirkung verlor! Sie traute ihren Augen nicht. Ein Fehler, ein einziger Fehler schließlich nach all diesen Monaten in Gefangenschaft. Das war ihre Chance! Sie hatte das Gefühl, gleich würde ihr Herz aussetzen und sie hätte einen Herzinfarkt.
Die Hoffnung – eine verrückte Hoffnung – blitzte durch ihr Gehirn. Behutsam drehte sie den Kopf zu ihm um, denn sie war sich bewusst, dass das laute Pochen ihres Blutes in seinen Ohren widerhallen musste.
Er schlief tief und fest. Vollkommen neutral betrachtete sie den großgewachsenen Körper, der nackt neben ihr ausgestreckt lag. Weder Hass noch Faszination. Dieses Stadium hatte sie schon lange hinter sich gelassen. Selbst dem nicht sehr natürlichen Blond seiner kurzgeschnittenen Haare, seinem dunklen Spitzbart und seinen von Tätowierungen ganz schwarzen Armen, die ihn in eine Art Schuppenkleid hüllten, schenkte sie weiter keine Beachtung mehr. Sie sah ein paar getrocknete Spermafäden in ihrem Schamhaar, und ein kalter Schauer überlief sie. Aber das war nichts im Vergleich zu den Anfällen von Ekel und Übelkeit, die sie zu Beginn durchgemacht hatte. Auch das lag hinter ihr.
Die Hoffnung belebte ihre Kräfte. Mit einem Mal wünschte sie sich sehnlichst, diese Hölle zu verlassen. Frei zu sein. So viele widersprüchliche Emotionen … Zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Gefangenschaft sah sie das Tageslicht, wenn auch nur durch ein Fenster mit Vorhängen. Zum ersten Mal erwachte sie in einem Bett und nicht im Dunkeln auf dem harten Boden ihres Kellerverlieses. Das erste Schlafzimmer seit Monaten, vielleicht seit Jahren …
Das kann nicht sein. Irgendetwas ist passiert.
Aber sie durfte sich nicht ablenken lassen. Im Raum wurde es immer heller. Er würde bald aufwachen. Eine solche Gelegenheit bekäme sie nie wieder. Die Angst war wieder da.
Es
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