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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Geschmacksverirrung angesehen wurde. Er vergaß nicht, dass er es mit hochgebildeten Menschen zu tun hatte – Menschen, die Rätsel, Anspielungen und verborgene Bedeutungen gefmochtenelen und sich auf ihren Scharfsinn etwas einbildeten – selbst unter so dramatischen Umständen. Dieser Satz war in dieses Heft nicht zufällig geschrieben worden.
    Konnte es sein, dass Claire auf andeutende, indirekte, verschleierte Weise den Namen ihres Feindes enthüllt hatte – und gar ihres zukünftigen Mörders?

14
     
    Hirtmann
    Zurück im Polizeipräsidium von Toulouse schneite er in Espérandieus Büro hinein.
    „Wie geht’s dem Kleinen?“
    Sein Mitarbeiter setzte die Kopfhörer ab, in denen der Sänger von „Queen of the Stone Age“ Make It Wit Chu sang, und zuckte mit den Schultern.
    „Alles ruhig. Er hat mich gefragt, ob ich etwas zu lesen habe. Ich hab ihm einen Manga angeboten. Aber er wollte nicht. Denk dran, der Polizeigewahrsam endet in sechs Stunden.“
    „Ich weiß. Ruf den Staatsanwalt an. Bitte ihn um eine Verlängerung.“
    „Aus welchem Grund?“
    Diesmal zuckte Servaz mit den Schultern.
    „Weiß nicht. Finde irgendetwas. Lass dir was einfallen.“
    Als er in seinem Büro war, stöberte er kurz in seinen Schubladen, ehe er fand, was er suchte. Eine Telefonnummer. In Paris. Er sah sie nachdenklich an. Er hatte diese Telefonnummer schon lange nicht mehr gewählt. Er hatte gehofft, es nie mehr tun zu müssen, weil diese Geschichte hinter ihm lag.
    Servaz sah auf die Uhr. Er wählte die Nummer. Als ihm eine müde Männerstimme antwortete, stellte er sich vor.
    „Das ist lange her“, spöttelte die Stimme am anderen Ende. „Was verschafft mir die Ehre, Commandant?“
    Er erzählte, was sich am Vortag zugetragen hatte, und erwähnte zum Abschluss, dass er eine CD von Mahler entdeckt hatte. Er erwartete, dass der Mann ihn fragte: „Und deshalb rufen Sie mich an?“, aber das tat er nicht.
    „Warum haben Sie nicht sofort angerufen?“, fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung vielmehr.
    „Bloß wegen einer CD, die an einem Tatort gefunden wurde? Das hat doch bestimmt nichts zu bedeuten.“
    „Einen Tatort, an dem man wie durch Zufall den Sohn einer früheren Bekannten von Ihnen antrifft, ein Fall, der mit hoher Wahrscheinlichkeit der Kripo Toulouse übertragen wird und bei dem das Opfer eine etwa dreißigjährig junge Frau ist, die in das Raster der übrigen Opfer passt? Und dann wird noch das Musikstück, das Julian an dem Abend spielte, an dem er seine Frau umbrachte, in der Stereoanlage gefunden? Sie machen mir vielleicht Spaß!“
    Servaz fiel das „Julian“ auf. Als ob die, die dem Schweizer auf den Fersen waren, inzwischen so vertraut mit ihm waren, dass sie ihn duzten. Er hielt den Atem an. Der Mann hatte recht. Als Servaz am Vortag die CD entdeckte, hatte er intuitiv genauso reagiert, aber dann war er darüber hinweggegangen. So betrachtet, fügten sich die einzelnen Elemente verstörend gut zusammen. Der Typ am anderen Ende musste ziemlich gewitzt sein, dass er dies in weniger als drei Sekunden überrissen hatte.
    „Es ist immer das Gleiche“, seufzte die Stimme im Telefon. „Wir erfahren davon, wenn einer die Zeit dafür findet, jeder sein Ego wieder eingepackt hat oder alle Spuren erkaltet sind …“
    „Und haben Sie denn etwas Neues?“
    „Sie hätten gern, dass ich Ihnen mit ja antworte, nicht wahr? Ich muss Sie leider enttäuschen, Commandant, aber wir haben so viele Informationen, dass wir darin ertrinken. Die reinste Sintflut. Die meisten sind so hirnrissig, dass wir sie nicht einmal überprüfen, bei anderen müssen wir es trotzdem tun, und das ist enorm zeitaufwändig. Er wurde da oder dort gesehen. In Paris, in Hongkong oder Timbuktu … Ein Zeuge ist sich sicher, dass er Stammgast im Kasino von Mar del Plata ist, wo er jeden Abend spielt, ein anderer hat ihn am Flughafen von Barcelona oder von Düsseldorf gesehen, eine Frau verdächtigt ihren Liebhaber, dass er Hirtmann ist …“
    In der Stimme seines Gesprächspartners spürte er die Entmutigung, den extremen Überdruss. Dann klang die Stimme plötzlich anders – als wäre dem Typen gerade etwas eingefallen.
    „Toulouse, nicht wahr?“
    „Ja, warum?“
    Der Mann antwortete nicht. Stattdessen hörte Servaz, wie er mit jemand anderem sprach. Die Hand auf dem Mikrofon verhinderte, dass seine Worte zu hören waren. Einige Sekunden später sprach er wieder klar und deutlich.
    „Neulich hat es einen Vorfall gegeben“,

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