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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Stimme verbinden – tief, angenehm, bedächtig. Die Stimme eines Schauspielers, eines Volkstribuns … Die eines Mannes, der es gewohnt ist, Macht zu besitzen und sich in Gerichtssälen zu artikulieren.
    Er konnte auch die mehr oder minder verschwommenen Gesichter von vierzig jungen und weniger jungen Frauen mit ihm in Verbindung bringen, die im Verlauf von 25 Jahren verschwunden waren. Frauen, von denen man nie die geringste Spur finden würde, deren Namen jedoch mit einer Vielzahl weiterer Details in den Notizbüchern des ehemaligen Staatsanwalts auftauchten. Irgendwo gab es einen Angehörigenverein der Opfer, der lauthals forderte, man müsse Hirtmann zum Reden bringen. Mit welchem Mittel? Wahrheitsserum? Hypnose? Folter? Von den üblichen Hitzköpfen im Netz wurden sämtliche Lösungen ernsthaft in Betracht gezogen. Einschließlich der Möglichkeit, ihn in Guantanamo zu internieren oder ihm den Kopf mit Honig zu bestreichen und ihn bis zum Hals vor einer Kolonie Feuerameisen einzugraben.
    Er wusste, dass Hirtmann nicht reden würde. Egal, ob er frei war oder eingesperrt, er hatte über diese Familien mehr Macht, als eine böse Gottheit jemals über sie besitzen könnte. Er war der Geist, der sie für immer quälte. Ihr Albtraum. Und genau diese Rolle gefiel ihm am besten. Wie alle psychopathischen Lustmörder kannte auch der Schweizer keinerlei Gewissensskrupel oder Schuldgefühle. Womöglich wäre er eingeknickt, wenn man ihn dem waterboarding unterzogen hätte, der Elektroschockfolter oder den Folterarten, die die Japaner 1937 an den Chinesen anwandten. Aber es war unwahrscheinlich, dass er in Polizeigewahrsam oder bei einem psychiatrischen Gespräch einknicken würde – gesetzt den Fall, man würde ihn wieder ergreifen, was Servaz ohnehin bezweifelte.
     
    ARE YOU READY?
    Servaz zuckte zusammen.
    Der Satz wurde gerade auf dem Bildschirm angezeigt.
    Einen Moment glaubte er, dass sich irgendwie Hirtmann Zugang zu seinem Computer verschafft hatte.
    Dann wurde ihm klar, dass er unbewusst auf die Adresse einer der zahlreichen Websites in der Liste geklickt hatte. Gleich darauf verschwand der Satz, und er sah eine dichtgedrängte Menge und eine von Scheinwerfern blendend hell ausgeleuchtete Konzertbühne. Ein Sänger trat ans Mikrophon, die Augen trotz der Dunkelheit hinter einer schwarzen Brille, und hielt eine Ansprache an die Menge, die den Namen des Mörders skandierte. Servaz traute seinen Ohren nicht. Mit klopfendem Herzen verließ er schleunigst die Website.
    Die drei folgenden Links waren einfach Informationsseiten. Zwei weitere waren allgemeine Websites über Serienmörder. Die folgenden vierzehn Ergebnisse verwiesen auf Foren, in denen der Name des Schweizers von den Mitgliedern auf die eine oder andere Weise erwähnt wurde, und Servaz verzichtete darauf, sie zu konsultieren. Das folgende Ergebnis machte ihn sofort neugierig:
    Dreharbeiten zum Film „Tal der Gehängten“ in den Pyrenäen.
    Er bemerkte, dass seine Hand beim Doppelklick zitterte. Als er zu Ende gelesen hatte, schob er seinen Stuhl weit vom Bildschirm weg. Er schloss die Augen und atmete lange und tief ein.
    Soweit er verstanden hatte, ging es um einen Film, der im nächsten Winter gedreht werden sollte. Die Vorlage zu diesem Film waren seine eigenen Ermittlungen in den Pyrenäen und vor allem die Flucht des Schweizers aus dem Institut Wargnier. Natürlich waren die Namen geändert worden, aber der Plot des Films war leicht zu durchschauen. Man hatte bereits bei zwei recht bekannten Schauspielern vorgefühlt, ob sie bereit wären, die Rollen des Serienkillers und des Kommissars (sic) zu spielen. Servaz war angewidert. In welcher Weise die moderne Welt sich an voyeuristisch-kommerziellen Spektakeln ergötzte, hatte der Konsumimus-Kritiker Debord schon vor vierzig Jahren angeprangert.
    Servaz war wütend, aber auch besorgt. Diese ganze Aufregung … Und wo hielt sich unterdessen der Betroffene selbst auf? Was heckte er aus? Er sagte sich, dass Julian Alois Hirtmann ebensogut in Canberra, auf der Halbinsel Kamtschatka oder in Punta Arenas sitzen konnte wie in einem Cybercafé an der nächsten Straßenecke. Wie war das noch, als Yvan Colonna aus dem Gefängnis ausgebrochen war: Medien, Polizei und Antiterror-Einheiten glaubten, er hielte sich in Südamerika oder Australien auf, sei jedenfalls über alle Berge – und dabei versteckte sich der Korse in einem Schafstall, dreißig Kilometer vom Tatort des Verbrechens, für das er verfolgt

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