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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Sinneswahrnehmungen.
    „Ich habe Angst, Martin“, sagte sie plötzlich. „Entsetzliche Angst … Erzähl mir von meinem Sohn. Werdet ihr Anklage gegen ihn erheben?“
    Beim letzten Satz hätte ihr beinahe die Stimme versagt. Servaz sah ihren gequälten Gesichtsausdruck, die Angst in ihren Augen. Er merkte, dass das von Anfang an die einzige Frage gewesen war, die ihr wirklich etwas bedeutete. Er nahm sich die Zeit, seine Worte sorgfältig zu wägen.
    „Würden wir ihn zum jetzigen Zeitpunkt dem Richter vorführen, dann hätten wir gute Chancen.“
    „Hast du mir am Telefon nicht gesagt, du hättest Zweifel?“
    Es klang beinahe wie ein verzweifeltes Flehen.
    „Hör zu. Es ist zu früh. Ich kann nicht darüber reden. Ich brauche ein paar Informationen“, sagte er. „Und Zeit … Es gibt da ein oder zwei Dinge … Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen.“
    „Was willst du wissen?“
    „Raucht Hugo?“
    „Er hat vor mehreren Monaten aufgehört. Wozu diese Frage?“
    Er winkte ab.
    „Du hast Claire Diemar gekannt.“
    Das war keine Frage.
    „Wir waren befreundet. Nicht sehr eng. Eher Bekannte. Sie lebte allein in Marsac, ich auch. So eine Art Freundinnen.“
    „Hat sie dir aus ihrem Privatleben erzählt?“
    „Nein.“
    „Aber du hast etwas gewusst?“
    „Ja. Natürlich. Im Gegensatz zu dir bin ich nicht aus Marsac weggegangen. Ich kenne jeden, und jeder kennt mich.“
    „Was wusstest du?“
    Er sah, dass sie zögerte.
    „Gerüchte … Über ihr Privatleben.“
    „Was für Gerüchte?“
    Wieder zögerte sie. Zu ihrer Zeit hatte Marianne Tratsch gehasst. Aber jetzt stand die Freiheit ihres Sohnes auf dem Spiel.
    „Es hieß, Claire hätte an jedem Finger zehn Männer. Sie würde sie benutzen und wegwerfen wie gebrauchte Tempotaschentücher. Sie hätte ihren Spaß daran, und sie hätte in Marsac etliche Herzen gebrochen.“
    Er sah sie an. Er dachte wieder an ihre Mails. Die drückten eine aufrichtige, stürmische, totale, bedingungslose Liebe aus. Zu diesem Porträt passten sie nicht.
    „Aber sie war diskret. Wenn du Namen willst – ich habe keine.“
    Und du , hätte er am liebsten gefragt, wie steht es mir dir?
    „Sagt dir der Name Thomas etwas?“
    Sie starrte ihn an, zog an ihrer Zigarette und schüttelte den Kopf.
    „Nein, gar nichts.“
    „Bist du sicher?“
    Sie blies den Rauch aus.
    „Wenn ich es dir doch sage.“
    „Hat Claire Diemar klassische Musik gehört?“
    „Was?“
    Er wiederholte die Frage.
    „Keine Ahnung. Ist das wichtig?“
    Plötzlich fiel ihm eine andere Frage ein.
    „Ist dir in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Ein Typ, der ums Haus geschlichen ist? Der dir auf der Straße nachging? Irgendetwas, was auch immer, das dir unheimlich war?“
    Sie sah ihn verständnislos an.
    „Sprechen wir jetzt von Claire oder von mir?“
    „Von dir.“
    „Nein. Sollte mir etwas aufgefallen sein?“
    „Ich weiß nicht … Wenn dir irgendetwas auffällt, lass es mich wissen.“
    Sie sah ihn konzentriert an, sagte jedoch nichts weiter.
    „Und du“, sagte er plötzlich. „Erzähl mir von dir, von deinem Leben in all diesen Jahren.“
    „Fragt da immer noch der Polizist?“
    Er senkte den Kopf und hob ihn wieder.
    „Nein.“
    „Was willst du wissen?“
    „Alles … Diese zwanzig Jahre, Hugo, dein Leben seither …“
    Er sah, wie sich ihr Blick im abnehmenden Licht leicht verschleierte. Sie nahm sich die Zeit, ihre Erinnerungen zusammenzutragen und zu sortieren. Dann erzählte sie. Einige reiflich überlegte Worte. Nichts Melodramatisches. Und doch ein Drama. Versteckt, tief. Sie hatte Mathieu Bokhanowsky geheiratet, einen aus ihrer Clique. Bokha, staunte Servaz. Bokha, der Flegel. Bokha, der Tollpatsch. Bokha, der etwas lästige Kumpel – so einen gab es immer -, der eine ostentative Verachtung für die Mädchen und für jeden romantischen Gefühlsausbruch zur Schau stellte. Bokha mit einer wie Marianne: zu ihrer Zeit war das undenkbar gewesen. Bokha, der sich wider Erwarten als guter, zärtlicher und zuvorkommender Ehemann erwiesen hatte. „ Von Grund auf gut, Martin“, betonte sie. „Er hat nicht nur so getan.“ Und nicht ohne gewissen Humor.
    Er zündete sich eine Zigarette an und wartete ab. Sie war mit Bokha glücklich gewesen. Wirklich glücklich. Mit seiner Güte, seiner unbändigen Tatkraft und seiner Einfachheit hatte Mathieu Berge versetzt, und es war ihm beinahe gelungen, sie die Narben vergessen zu lassen, die das Duo Servaz/Van Acker

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