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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Tätigkeit am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, wo er über Anklagen wegen Vergewaltigung, Folter und Mord durch Angehörige von Streitkräften – einschließlich Blauhelm-Soldaten – zu entscheiden hatte.
    Ziegler hatte eine nicht vollständige Liste „möglicher“ Opfer des ehemaligen Staatsanwalts in der Schweiz, aber auch in den Dolomiten, den französischen Alpen, Bayern und Österreich erstellt; auch während seines Aufenthalts in den Niederlanden hatte sie einige verdächtige Vermisstenfälle festgestellt. Unter anderem war da ein etwa dreißigjähriger Mann, ein kleiner journalistischer Schnüffler, der offenbar als Erster Lunte gerochen hatte. Neben dem Geliebten seiner Frau war er wahrscheinlich das einzige männliche Opfer des Schweizers. Eine verschwundene amerikanische Touristin auf den Bermudas, während er nur wenige Kilometer entfernt im Urlaub war, nahm sie ebenfalls in ihre Liste auf, obwohl die Behörden auf einen Hai-Angriff geschlossen hatten. Presse und Polizei hatten ihm über einen Zeitraum von 25 Jahren etwa vierzig Fälle zugeschrieben. Nach Zieglers Berechnungen waren es eher um die hundert. Keine einzige der vermissten Personen war wiedergefunden worden … Wenn Hirtmann es auf einem Gebiet zur Meisterschaft gebracht hatte, dann auf dem, Leichen spurlos verschwinden zu lassen.
    Ziegler lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Einen Moment lang lauschte sie der Stille des schlummernden Hauses. Achtzehn Monate waren vergangen, seit der Schweizer aus dem Institut Wargnier geflohen war. Hatte er in dieser Zeit weiter gemordet? Sie hätte darauf gewettet. Wie viele Opfer musste man noch auf die Liste setzen? Würde man es jemals wissen?
    Nach seiner Festnahme im Juni 2004 und einem Prozess, in dessen Verlauf er sein ganzes Geschick aufgefahren hatte, um Gutachter und Kläger zu manipulieren, hatte Julian Hirtmann war in mehreren psychiatrischen Kliniken in der Schweiz in Sicherungsverwahrung gesessen, ehe er schließlich im Institut Wargnier landete. Dort waren ihm Servaz und Irène begegnet. Und dort war er mit der Hilfe einer Klinikmitarbeiterin vor anderthalb Jahren ausgebrochen.
    Ziegler wandte sich wieder den beiden Zeitungsartikeln zu. Dem mit der Überschrift „ Hirtmann schreibt an die Polizei “ und dem über Martins Ermittlungen in Marsac. Wer war die undichte Stelle? Sie stellte sich vor, wie sich Martin fühlen musste. Sie machte sich Sorgen um ihn. Nach den Ermittlungen im Winter 2008-2009 hatten sie am Telefon und auf Bergwanderungen lange Gespräche geführt, und er hatte ihr schließlich das traumatische Erlebnis anvertraut, das ihn seit seiner Kindheit verfolgte. Sie hatte darin einen großen Vertrauensbeweis gesehen, denn sie war sich sicher, dass er seit Jahren mit niemandem mehr darüber geredet hatte. Damals hatte sie beschlossen, auf ihn aufzupassen, und zwar auf ihre Weise, ohne dass er etwas davon mitbekam – wie eine Schwester, eine Freundin …
    Sie seufzte. In letzter Zeit war sie kein einziges Mal in Martins Rechner eingedrungen. Zum letzten Mal hatte sie sich dort umgesehen, als die Nationale Gendarmerie-Direktion den Disziplinarausschuss mit ihrem Fall befasst hatte. So hatte sie den Bericht gelesen, den Servaz in ihrem Fall an den Disziplinarausschuss geschickt hatte. Es war ein sehr positiver Bericht, der ihre Beiträge zu den Ermittlungen und die Risiken herausstrich, die sie eingegangen war, um den Täter zu fassen; außerdem appellierte er an den Ausschuss, Milde walten zu lassen. Da sie den Bericht offziell gar nicht gelesen hatte, hatte sie ihm auch nicht dafür danken können. Auch die – deutlich weniger günstige – E-Mail-Korrespondenz mehrerer hoher Offiziere der Gendarmerie hatte sie damals durchgelesen.
    Mehrmals war sie versucht gewesen, sich auf diese Weise nach Martin zu erkundigen – sie wusste, wie sie seinen beiden Computer, den dienstlichen und den privaten, hacken konnte -, aber sie war jedes Mal zurückgeschreckt. Nicht nur aus Loyalität, sondern auch, weil sie keine Lust hatte, Dinge zu entdecken, deren Kenntnis sie anschließend bereuen würde.
    Jeder hat seine Geheimnisse, jeder hat etwas zu verbergen, und niemand ist nur das, was er zu sein scheint.
    Und das galt für sie wie für alle anderen. Sie wollte von Martin das Bild behalten, das sie sich von ihm gemacht hatte: ein Mann, der sie vielleicht gereizt hätte, wenn sie auf Männer stünde, ein Mann mit seinen Widersprüchen, den seine Vergangenheit verfolgte, ein

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