Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
Vom Netzwerk:
Mann voller Wut und zugleich voller Zärtlichkeit, der in jeder Geste und jedem Wort zu verstehen gab, dass jeder Mensch durch jede einzelne seiner Handlungen den moralischen Wert der Menschheit insgesamt mitbestimmte. Er war der melancholischste Mensch, den sie kannte. Und der aufrichtigste. Manchmal träumte Ziegler davon, dass Martin endlich jemanden finden würde, der ihm Unbekümmertheit und Frieden brächte. Aber sie wusste, dass es dazu niemals kommen würde.
    Umgetrieben – dieses Wort fiel ihr ein, wenn sie an ihn dachte.
    Sie tippte flott auf der Tastatur herum und schreckte diesmal nicht zurück. Ich tue es in deinem Interesse. Kaum war sie in den Rechner vorgedrungen, orientierte sie sich so gewandt wie ein Einbrecher in einer dunklen Wohnung. Sie überflog seine E-Mails und entdeckte die, die in dem Zeitungsartikel erwähnt wurde. Er hatte sie nach Paris weitergeleitet, an die Ermittlungsgruppe, die für die Fahndung nach dem Schweizer zuständig war.
     
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Datum: 12. Juni
    Betreff: Grüße
    [Erinnern Sie sich an den ersten Satz der Vierten, Commandant? Bedächtig … Nicht eilen … Recht gemächlich … Das Stück, das gerade lief, als Sie an jenem berühmten Dezembertag mein ‚Zimmer‘ betraten? Schon lange will ich Ihnen schreiben. Erstaunt Sie das? Sie werden mir ohne weiteres glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ich in letzter Zeit sehr beschäftigt war. Freiheit weiß man, so wie Gesundheit, erst dann richtig zu schätzen, wenn man sie lange entbehrt hat.
    Doch ich will Sie nicht weiter belästigen, Martin. (Erlauben Sie mir, dass ich Sie Martin nenne?) Auch mir sind aufdringliche Menschen ein Graus. Ich werde bald wieder von mir hören lassen. Ich bezweifle, dass Ihnen meine Neuigkeiten gefallen werden – aber ich bin mir sicher, dass Sie ihnen etwas abgewinnen können.
    Herzliche Grüße, JH.]
     
    Sie las die Mail – und las sie ein zweites Mal. Bis sie die Worte auswendig kannte. Sie schloss die Augen, presste die Lider zusammen, konzentrierte sich. Sie machte sie wieder auf. Dann überflog sie den Inhalt der Mails zwischen Martin und den Pariser Zielfahndern. Sie zuckte zusammen: Möglicherweise war Hirtmann auf einem Motorrad auf der Autobahn Paris-Toulouse gesehen worden. An diese Nachricht war eine Datei angehängt, die sie eilig öffnete. Das verwackelte, leicht verschwommene Bild einer Überwachungskamera an einer Mautstelle … Ein großgewachsener Mann mit Helm auf einer Suzuki. Er beugte sich zur Seite, um zu bezahlen, streckte die Hand zum Schalter, sein Gesicht blieb unter dem Helm verborgen. Und ein weiteres Bild. Ein großer blonder Mann mit Spitzbart und Sonnenbrille, der an der Kasse eines kleinen Supermarktes bezahlte. Die gleiche Jacke; auf den Rücken war ein Adler aufgenäht und auf den rechten Ärmel eine kleine amerikanische Flagge. Ziegler bekam Gänsehaut. Hirtmann oder nicht? Irgendwie kam ihr seine Art zu gehen, die Form seines Gesichts bekannt vor. Aber sie misstraute ihrem brennenden Verlangen, ihn zu identifizieren, um sich nicht zu vorschnellen Schlüssen verleiten zu lassen.
    Hirtmann in Toulouse …
    Sie sah sie beide wieder vor sich, Martin und sich selbst, in dieser Zelle der Abteilung A, dem Hochsicherheitstrakt, in dem die gefährlichsten Insassen des Institut Wargnier eingeschlossen waren. Sie hatte zumindest anfangs dem Gespräch beigewohnt, bevor Hirtmann bat, mit Martin unter vier Augen zu reden. An diesem Tag war etwas passiert. Sie hatte es gespürt. Es passierte ohne Vorwarnung, aber alle hatten es bemerkt: Zwischen dem Serienmörder und dem Polizisten war eine Art Bindung entstanden – wie zwischen zwei Schachgroßmeistern oder zwei großen Schriftstellern, die einander beschnuppern und erkennen. Was hatten sie sich gesagt, als sie allein waren? Martin war in diesem Punkt nicht sehr gesprächig gewesen. Irène erinnerte sich vor allem daran, dass die beiden Männer, unmittelbar nachdem sie die zwölf Quadratmeter große Zelle betreten hatten, sogleich auf die Musik zu sprechen gekommen waren, die an diesem Tag auf dem CD-Spieler lief: Mahler – das sagte jedenfalls Martin, denn Ziegler konnte Mozart nicht von Beethoven unterscheiden. Es war wie ein Boxkampf zwischen zwei Schwergewichten, die sich respektierten. Alle, die den Ring umstanden, wussten, dass sie nur unbedeutende Zuschauer waren.
    „ Ich werde bald wieder von mir hören lassen. Ich bezweifle, dass Ihnen meine Neuigkeiten

Weitere Kostenlose Bücher