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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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gefallen werden – aber ich bin mir sicher, dass Sie ihnen etwas abgewinnen können …“
    Ein Schaudern. Irgendetwas ging da vor. Irgendetwas äußerst Unangenehmes. Ziegler schaltete den Rechner aus und stand auf. Sie ging in ihr Schlafzimmer, zog sich aus – aber die Rädchen in ihrem Gehirn drehten sich weiter.
     
     
    ZWISCHENSPIEL 2
    Entschluss
    Sie hatte eine Kindheit gehabt.
    Sie hatte ein Leben voller fröhlicher und trauriger Ereignisse gehabt, ein erfülltes Leben, ein Leben wie ein Eiskunstlaufwettbewerb, mit seiner Pflicht und seiner Kür. In der Kür war sie am besten. Ein Leben wie Millionen andere.
    Ihr Gedächtnis war wie jedes Gedächtnis: Ein Album voller vergilbter Fotos oder eine Reihe kurzer, abgehackter Filmsequenzen in Super 8, die auf runden Plastikspulen aufbewahrt wurden.
    Ein entzückendes kleines blondes Mädchen, das am Strand Sandburgen baute. Als Teenie attraktiver und aufregender als die anderen, ihr sanfter Blick und die frühreifen Formen verstörten mehr als einen Freund ihrer Eltern, so dass er sich anstrengen musste, ihre sonnengebräunten Knie, ihre Hüften und den schillernden Flaum ihrer Haut zu ignorieren. Ein zu Streichen aufgelegtes, intelligentes Mädchen, der ganze Stolz seines Vaters. Als Studentin war sie dem Mann ihres Lebens begegnet, einem melancholischen, blitzgescheiten jungen Mann mit großen Lippen und unwiderstehlichem Lächeln, der ihr von dem Buch erzählte, das er gerade schrieb – bis ihr klar wurde, dass der Mann ihres Lebens eine Last trug, die er niemals loswerden würde, und dass auch sie gegen diese Gespenster ausrichten nichts konnte.
    Und dann hatte sie ihn verraten …
    Es ließ sich nicht anders sagen. Sie hätte heulen mögen. Verrat. Nichts war schmerzlicher, schrecklicher, abscheulicher als dieses Wort. Für das Opfer wie für den Verräter. Oder – in diesem Fall – die Verräterin … Mit angezogenen Beinen legte sie sich auf die nackte, harte Erde ihres finsteren Grabs. Tat sie jetzt Buße dafür? War dieser Geisteskranke da oben eine Strafe Gottes? Diese Monate in der Hölle: Waren sie der Preis für ihren Verrat? Verdiente sie, was ihr widerfuhr? Verdiente irgendjemand auf der Erde das, was sie durchmachte? Selbst ihren schlimmsten Feind hätte sie nicht so bestraft …
    Sie dachte an den Mann, der da oben, direkt über ihr, lebte, lebte , im Gegensatz zu ihr – der in der Welt der Lebenden ein- und ausging, während er sie im Vorzimmer des Todes festhielt. Plötzlich überkam sie ein eisiges Frösteln. Und wenn er nie genug von diesem Spiel bekäme? Wenn er niemals müde würde? Wie lange konnte das noch dauern? Monate? Jahre? Jahrzehnte? BIS ZU SEINEM TOD? Und wie lange würde es noch dauern, bis sie verrückt wurde, völlig durchdrehte, nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte, ballaballa wäre? Sie spürte bereits die ersten Anzeichen des Wahnsinns. Manchmal fing sie scheinbar grundlos an zu lachen – ein Lachen, das sie nicht kontrollieren konnte. Oder aber sie sagte Hunderte Male den Spruch auf: „Blaue Augen in den Himmel, graue in das Paradies, grüne Augen in die Hölle, schwarze ab ins Fegefeuer.“ Hin und wieder verlor sie sich in Phantastereien, das musste sie selbst zugeben. Oder die Wirklichkeit verschwand hinter einer Leinwand voller Träume, einer geistigen Projektion von Wahnvorstellungen im Breitbandformat. Willkommen in der Sondervorführung am Samstagabend. Gefühle und und Tränen garantiert. Halten Sie Ihre Taschentücher bereit. Im Vergleich zu mir mangelt es Fellini und Spielberg gewaltig an Phantasie.
    Früher oder später würde sie verrückt werden …
    Diese Erkenntnis versetzte sie in Angst und Schrecken. Dies und der Gedanke, dass es nie aufhören würde. Dass es immer so weiterginge. Dass sie in diesem Grab alt werden würde, während gleichzeitig da oben er alterte. Sie waren fast gleich alt … Nein! Alles, nur das nicht! Sie hatte das Gefühl, sie würde ersticken, zerbrechen, das Gefühl, gleich umzukippen. Nein-nein-nein-nein-nicht-das! Und plötzlich wurde sie innerlich ganz kalt. Denn sie sah den Ausgang, da, direkt vor ihr. Sie hatte keine Wahl. Lebend würde sie hier nie herauskommen.
    Also musste sie einen Weg finden, um zu sterben.
    Sie prüfte diesen Gedanken aus allen Richtungen. So penibel, wie sie einen Schmetterling oder ein anderes Insekt untersucht hätte.
    Sterben …
    Ja. Sie hatte keine andere Wahl mehr. Bis jetzt hatte sie sich Illusionen gemacht, hatte sie es nicht wahrhaben

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