Kindheit bei Scientology: Verboten (German Edition)
hat die Kommunikation mit dem Mann abgeschlossen. Irgendwie versucht er zu sortieren, was die Schweineschnauzen mit seinem ersten Schultag zu tun haben …
Einige Tage geht es für Edwin in diesem Rhythmus weiter. Der Junge aus seiner Klasse hat ihn gefragt, ob sie am Nachmittag nicht mal zusammen spielen können. Der versteht anscheinend gar nichts. Ist völlig »aberriert«, so die Gedankengänge des kleinen Edwin. Oder soll er ihn einfach mitnehmen, dahin, wo er auch begreifen könnte, dass es etwas anderes gibt, etwas Größeres als die Welt des Jungen. Ganz kurz nur denkt Edwin darüber nach, aber dann erinnert er sich plötzlich daran, dass er erst kürzlich aufgeschnappt hat, dass die Menschen nicht verstehen, was Scientology bedeutet. Im Gegenteil, sie verfolgen diejenigen, die dabei sind. Beispiele soll es ja genug geben. Wie immer bei einer Idee, die die anderen nicht verstehen. Also was soll es? Er ist derjenige, der irgendwann in der Lage ist, völlig frei zu sein. Vielleicht kann er ja später den Jungen überzeugen, wenn er selbst weiter oben auf der Brücke ist, so wie der Sohn einer erfolgreichen Scientology-Mutter, von dem immer wieder gesprochen wird. Der hat schon mit zehn Jahren gewusst, was Sache ist, hat erkannt, dass er lange vor den meisten Erwachsenen in der Org »clear« war und natürlich ist. Edwin bewundert diesen Jungen. Was soll er da mit dem anderen, mit dem Unwissenden aus seiner Schule?
Was ich an diesem Beispiel des kleinen Edwin deutlich machen möchte, ist bereits in verschiedenen Veröffentlichungen ausgesprochen worden. Durch die permanente Beschäftigung mit der Hubbard’schen Lehre, dem fast ausschließlichen Umgang mit Menschen aus der Scientology-Organisation und den Kursen und Seminaren kann Folgendes passieren:
»Die Möglichkeit, sich mit anderen Kindern zu verständigen, zu spielen, zu reden wird dadurch verhindert. Die Kinder wachsen in einer künstlichen Welt auf und haben in diesem Alter keine Chance, sich zu wehren.«
(Gespräch in »Klassik-Radio« am 24. 7. 1992,
Bezugnahme auf den Kindergarten »Happy Kids« in Hamburg)
Kinder sind wie Handtaschen
Wenn es einem Menschen gelingt, sich irgendwann aus der Scientology-Organisation zu lösen, reflektiert er häufig erst lange Zeit später, welchen Methoden er jahrelang im System ausgeliefert war. Verlassen ganze Familien mit ihren Kindern Scientology, machen sich die Eltern häufig heftigste Vorwürfe, keine ausreichend liebevolle Beziehung zu Söhnen und Töchtern aufgebaut zu haben. Sie vertrauten einer Ideologie, die ihnen nicht einmal genug Zeit für ihre Kinder gelassen hat. Sie sind ihren eigenen Kindern fremd geworden und haben ihnen keine Liebe geschenkt. Ein Kind, das ohne das Gefühl von Nähe und Geborgenheit aufwachsen muss, hat es bekanntlich im Leben sehr schwer.
Allerdings haben Eltern und ihre Kinder mit dem Ausstieg aus der Organisation eine neue Chance. Diese funktioniert aber nur, wenn sie gemeinsam gehen.
Stellvertretend für viele Einzelschicksale von Personen, die ihre Kinder mit dem anderen Elternteil in der Organisation zurücklassen, möchte ich hier jemanden zitieren, der 28 Jahre in der Organisation war, praktisch sein halbes Leben lang. Er schreibt über das, was ihn zum funktionierenden »Rädchen« machte, und die daraus resultierende Bedeutung für das Verhältnis zu seinen Kindern:
»Die Scientology-›Gesetze‹! Der wirkliche Wahnsinn an der ganzen Angelegenheit ist, dass nun meine Kinder in diese Mühle geraten sind, die an sich extrem menschenfeindlich ist, und wo ich immer die Idee gehabt habe, dass das meinen Kindern nicht passieren würde. Das bringt mich in Rage – da wird auf den Herzen von Kindern ›Klavier‹ gespielt, und wenn ich meine momentane Situation ansehe, muss ich mich wirklich zurückhalten, um nicht laut aufzuschreien oder sonst was.«
(Handl, Wilfried: Scientology: Wahn und Wirklichkeit.
28 Jahre in einer Psychosekte, Wien 2005, S. 211)
Natürlich ist es zudem schwer – selbst wenn man gemeinsam geht und die Kinder in die nicht-scientologische Welt mitnimmt -, die einmal eingetrichterten Gedanken wieder loszuwerden und praktisch ein neues Leben zu beginnen. Es bleibt sehr lange eine große Herausforderung, das tägliche Miteinander ohne die scientologischen Richtlinien zu bewältigen. Denn bis die Entscheidung des Ausstiegs gefallen ist, werden Kinder durch das trainierte Bewusstsein der scientologisch funktionierenden Eltern
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