Kindheit bei Scientology: Verboten (German Edition)
häufig eher wie Gegenstände behandelt.
Der Körper, so ist es erlernt und verinnerlicht, ist das Transportmittel des Geistwesens, des »Thetan«. Man nimmt alle Körper mit, man legt sie sozusagen ab – wie in einer Handtasche. Die Kinder werden oft genug den jeweiligen Mitarbeitern in der Organisation überlassen, so dass es fast unmöglich geworden ist, selbst Verantwortung zu übernehmen – dieses natürlich manchmal auch mit einem Hauch von schlechtem Gewissen. Aber während der aktiven Zeit kann es dann durchaus passieren, dass man das Kind vergisst, das gerade im Gebäude der Organisation Kurse besucht, am »Hubbard-E-Meter« in einer »Auditing-Sitzung« festhängt oder in der Sauna schwitzt, bei einem so genannten »Reinigungsprogramm«. Dieser »Purification-Run-Down« oder scientologisch kurz: »Purif«, ist von allen aktiven Mitgliedern in der Organisation zu absolvieren, also auch von den jüngsten.
Auch für unseren Edwin ist irgendwann die Zeit gekommen, die Belastungen, die seinen Weg zur scientologischen Erkenntnis hindern, durch das »Reinigungsprogramm« mindestens zu reduzieren.
Edwins Mutter hatte natürlich für ihren minderjährigen Sohn eine »Verzichtserklärung« unterschrieben. Die anderen Punkte, die vor Beginn des Programms verlangt werden, war sie pflichtgemäß mit ihm durchgegangen. Vor allem Punkt B war ihr wichtig gewesen:
»Sorgen Sie dafür, dass die Person versteht, dass die Aktion unternommen wird, um dabei zu helfen, sie als geistiges Wesen zu befreien, und dass es keine medizinische Behandlung ist.«
Auch Punkt E war unserer jungen Mutter wichtig, damit es später keine Probleme gab:
»Bekommen Sie ihr Versprechen, die Anweisungen zu befolgen und den Rundown abzuschließen und nicht davon wegzulaufen, weil es unangenehm ist oder weil sie faul ist oder andere Verabredungen hat.«
(Beide Zitate aus: Hubbard, Lafayette Ronald:
Die Reinigungsrundown-Serie, Kopenhagen 1986, S. 24)
Inwieweit Edwin das wirklich verstanden hat, ist nicht zu ergründen. Seine Mutter bezahlt auch den Arzt, ein Mitglied der Organisation, der seit langem dafür zuständig ist, die medizinische Unbedenklichkeit für das »Reinigungsprogramm« schriftlich abzugeben. Und er gibt sie auch im Fall Edwin ab. Ob und wie er den kleinen Edwin untersucht hat, bleibt unklar. Seine Praxis hat Edwins Mutter nie gesehen. Doch für Edwins Mutter besteht keine Notwendigkeit der Nachfrage, Zweifel lässt sie gar nicht erst aufkommen. Sie lebt in ihrer Welt mit den entsprechenden Regeln, in der das Wort »Zweifel« verpönt, ja geradezu untersagt ist.
Das »Reinigungsprogramm« beginnt zunächst mit Laufen, dann folgen Saunagänge und schließlich die Einnahme von Vitaminen und dem von Hubbard so hoch eingeschätzten und nach seinen eigenen Angaben wissenschaftlich erforschten »Niacin«. Die Dosis der Vitamine und des Niacins wird nach dem vorgeschriebenen Programmablauf gesteigert.
Es mag der zweite oder dritte Tag mit dem »Reinigungsprogramm« gewesen sein, an dem es Edwin in der Sauna irgendwie schlecht geht. Er hat das merkwürdige Gefühl, dass irgendetwas mit ihm passiert, aber er kann es nicht erklären. Er bleibt natürlich die vorgeschriebene Zeit in der Sauna sitzen, denn ein Abbruch kommt selbstverständlich nicht in Frage. Er ist froh, als er endlich den Saunaraum verlassen darf. Edwin fühlt sich ein bisschen so wie in Watte gepackt. Er beantwortet die kurzen Fragen seines »Fallüberwachers« und geht durch das Gebäude. Dabei trif er auf seine hektische Mutter, die ihm nur einen Blick zuwirft und weiterhastet. Etwas taumelnd verlässt er das Gebäude. Einige Zeit später findet er sich vor der Tür des Hauses seiner nicht-scientologischen Großeltern. Später kann er sich nicht recht erinnern, wie er dorthin gekommen ist, und auch das, was seine Großmutter anschließend erzählt, wird er nicht bestätigen. Im Gegenteil, er wird diese »Geschichte seiner Großmutter« bestreiten, da sie von ihr nur ausgedacht war, um Scientology zu schaden.
Kehren wir also zu der Situation zurück, als Edwin vor der Tür seiner Oma ankommt und klingelt. Sie öffnet ihm die Tür und findet ihren Enkelsohn merkwürdig verstört. Edwin sagt fast nichts, geht an ihr vorbei und setzt sich auf das Sofa. Sie spricht ihn an, fragt ihn, was mit ihm los sei, aber darauf reagiert er kaum. Seine Großmutter ist besorgt und verlässt das Wohnzimmer, um ihren Hausarzt anzurufen. Edwin geht auf den
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