Kindheitsmuster
wurden, brachten ein unerwartetes Ergebnis: Das Augenblinzeln der Käuferinnen verminderte sich, wenn sie die Kaufhalle betreten hatten, anstatt, wie erwartet, zuzunehmen. Die Masse und Übermacht des Warenangebots versetzte sie in einen der Hypnose ähnlichen Zustand.
Zu den Höhepunkten der Vorführung des Herrn Andrack – die er bald nach dem Ende der Kaffeetafel mit harmlosen Tests begonnen hatte – gehörte jener Augenblick, da Cousine Astrid unter den beschwörenden Worten und Blicken des Fotografen ihre Zitronencreme mit allen Anzeichen des Abscheus von sich schob, weil sie etwas Widerwärtiges zu essen meinte. Dagegen genoß sie gleich darauf ein Gläschen klaren Wassers genüßlich schmatzend als Eierlikör. Dies war das Zeichen für Pfarrer Grunau, der an jenem Nachmittag reihum einige seiner konfirmierten Schützlinge besuchte, hastig Abschied zu nehmen. Onkel Alfons Radde grinste hinter ihm her. Wasser in Wein verwandeln, sagte er, das darf nur sein Chef.
Doch auch dem Onkel Alfons sollte das Lachen noch vergehn.
War nicht überhaupt er es, der durch die Bekundung von Zweifel die ganze Chose erst ins Rollen brachte? Bruno Jordan hat vermutlich bekanntgegeben: Sein Kamerad Andrack sei ein toller Hecht, ein gefährlicher Bruder, der es fertigbringe, andere Leute, ohne daß sie es überhaupt merken, nachts im Kohlenkasten schlafen zu lassen.
Glaub ich nicht, hat Alfons Radde gesagt. Das kannst du einem erzählen, der sich die Hosen mit der Kneifzange anzieht.
Worauf Richard Andrack sich direkt an ihn wandte, und zwar mit der höflichen Frage: Ihre Gattin leidet an Kopfschmerzen?
Tante Liesbeth hat schon immer etwas für höfliche Männer übrig gehabt, für Männer mit Lebensart. O ja. Sie litt an Kopfschmerzen, einer Neuralgie. Unheilbar, wie auch Herr Andrack sicherlich wisse.
Nun, nun.
Aber quälend, Herr Andrack, das müssen Sie mir glauben. Manche Tage bin ich buchstäblich zu nichts fähig. Vielleicht sind Sie kaum imstande, sich das vorzustellen.
Im Gegenteil, versicherte Herr Andrack, er fühle sich durchaus imstande, sich das und gegebenenfalls manches andere vorzustellen.
Mumpitz, sagte Alfons Radde.
Die Männer machten Anstalten, sich ins Herrenzimmer zu verkrümeln. Richard Andrack, der in Zivil erschienen war – einem unauffälligen dunkelblauen Vorkriegseinreiher, den er immer trug, wenn er auf Hochzeiten, Einsegnungen, Kindstaufen fotografierte –, Richard Andrack bat sie höflich, ein Momentchen noch zu bleiben. Vielleicht noch einmal kurz an der inzwischen abgeräumten Kaffeetafel Platz zu nehmen, wenn es recht wäre. Und, rein spaßeshalber – ja, auch Sie, Herr Radde! –, wenn ich Sie bitten dürfte, Ihre beiden Hände mit gespreizten Fingern vor sich auf den Tisch zu legen, und zwar dergestalt, daß jeweils die Spitzen der eigenen Daumen einander, die Spitzen der kleinenFinger aber die kleinen Fingerspitzen der beiden Nachbarn berühren: Ganz richtig, Frau Liesbeth, so daß ein geschlossener Kontaktkreis entsteht. Sie machen das ausgezeichnet, meine Herrschaften, ich danke Ihnen. Nicht immer trifft, wie Sie sich unschwer denken können, mein Experiment auf die erforderliche Sensitivität der Medien.
Damals hat Nelly das Wort »Medium« zum erstenmal gehört und sofort begonnen, ihm zu mißtrauen. (Ihr habt das Lokal am Markt verlassen und sucht auf einem mit neuen Häusern bebauten Territorium der Innenstadt die Reste ehemaliger Straßen, die Luisen-, Post-, Woll- und Bäckerstraße hießen. Bruder Lutz, auf den Andrack nicht jenen unauslöschlichen Eindruck gemacht hat wie auf Nelly, weiß immerhin, daß er schütteres, leicht ins Rötliche spielendes blondes Haar hatte, das er zurückgekämmt trug, und jenes runde, eigentlich nichtssagende, eher bleiche Gesicht des hellen Typus, auf dem man sich sogar Sommersprossen vorstellen kann. Was nicht heißen muß, daß Herr Andrack wirklich Sommersprossen gehabt hat, Lenka.)
Nelly weiß sofort: Sie will kein Medium sein.
Herr Andrack erklärt zuvorkommend, daß sich erfahrungsgemäß unter zirka zwanzig Personen – so viele waren ja mindestens bei Nellys Konfirmation versammelt – ein ausgezeichnetes und zwei bis drei gute Medien befänden, und eben dies werde er mit ihrer freundlichen Zustimmung, die einzuholen er allerdings vergessen hatte, alsbald herausfinden. Sie nämlich, die Herrschaften, die da in trautem Handkontakt um den Tisch versammelt seien, würden sehr bald die größten Schwierigkeiten haben, ihre Hände
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