Kindsköpfe: Roman (German Edition)
Geschäfte damit machte, fremde Kinder nach Hause zu bringen. Lotte durfte im Gegenzug deren Hausaufgaben abschreiben oder einen Tag lang ihren MP3-Player benutzen, und wenn der glückliche Besucher Zeuge eines Kusses zwischen Oliver und Niklas wurde, hatte er eine Provision zu zahlen.
»Es ist ihre Art, mit dem Verlust ihrer Mutter umzugehen«, erklärte Frau Domenicus und setzte sich auf die Kante des Nachbartisches. Dabei legte sie ihre Hände wie zum Gebet in den Schoß. »Sie versucht sich interessant zu machen, das funktioniert mit zwei Vätern nun mal besser als mit einer Mutter.«
»Aber beim Geschäftemachen hört der Spaß auf!«, fand Niklas.
»Das, fürchte ich, ist die Idee ihrer Freundin.«
Niklas hatte nicht zum ersten Mal das Gefühl, dass er Maki nicht mochte. »Warum setzen Sie die beiden nicht auseinander?«
»Ich vertraue auf Lottes guten Einfluss.«
Niklas war geschmeichelt und ließ die Sache vorerst auf sich beruhen. Doch dann begannen die anonymen Anrufe zuzunehmen. Es verging kein Abend, ohne dass das Telefon klingelte, doch nie meldete sich jemand. Anfangs vermutete Niklas noch einen von Lottes Freunden dahinter, später kam es ihm manchmal so vor, als hätte Oliver wieder damit begonnen, andere Männer zu treffen. Vielleicht steckte also ein Verehrer hinter den Anrufen? Sein Freund reagierte beleidigt: Er würde einer Liebschaft niemals die Festnetznummer geben. Niklas war geneigt, ihm zu glauben. Schließlich wechselte er die Telefonnummer und beschloss, die Sache zu vergessen.
Dass die Menschen ebenso unterschiedlich wie unvorhersehbar auf seine Familie reagierten, daran hatte er sich gewöhnt. Seine eigene Mutter hätte es lieber gesehen, dass die Kinder bei ihrem Erzeuger lebten, und war sogar bereit, dafür das Leid zu vergessen, das der ihrer Tochter zugefügt hatte, während Niklas’ alte Freundin Nadja ihn nie vor 21 Uhr besuchte, um sicherzugehen, dass die Kinder schon im Bett waren. Dass aber eines Tages Olivers Eltern ihr Kommen ankündigten, überraschte ihn dann doch. Sein Freund schien so glücklich, als er davon erzählte, dass Niklas sich nicht traute, seine Euphorie zu bremsen. Bislang waren Herr und Frau Heinze nämlich nicht gerade als Eltern aufgefallen, die mit aufgemalter Regenbogenflagge auf der Wange ganz vorne bei der Christopher-Street-Day-Parade mittanzten. Die Gelegenheiten, bei denen Niklas seine Schwiegereltern getroffen hatte, konnte er an den Fingern von Lottes Lieblingspuppe abzählen – und die hatte aus unerfindlichen Gründen nur drei. Dass sie nun ihre Schmollecke verlassen wollten, kam ihm verdächtig vor, denn er wusste, dass er mit seinem starken Bartwuchs eine denkbar schlechte Schwiegertochter abgab. Olivers Vater war ein kratzbürstiger Pensionär in den Siebzigern, der in seiner Tätigkeit als Kassenwart seines Karnevalsvereins aufging und so die ganze Tragik professionellen Lustigseins personifizierte, aber damit brauchte Niklas seinem Freund gar nicht erst zu kommen, es sei denn, er wollte mal wieder einen Streit vom Zaun brechen. Mutter Heinze war eine nette stille Person, knapp fünfzehn Jahre jünger als ihr Gatte. Sie machte selten den Mund auf, außer, um ihrem dominanten Mann beizupflichten.
Am Tag ihres Besuches goss es in Strömen, so ging das schon seit Tagen. Der Himmel war wie zubetoniert mit grauen Wolken, und selbst die Sonne hatte den Frühlingsanfang anderswo verbracht, weil es ihr hier zu ungemütlich war. Den Kindern wurde es langweilig, sich immer nur drinnen aufzuhalten. Lotte hatte schon der ganzen Familie die Fußnägel lackiert, und Hannes drängelte, er wollte endlich seinen schönen Drachen steigen lassen, den er mit Oliver gebastelt hatte. Da kam Niklas etwas Abwechslung ganz gelegen.
Wie es sich für gute Großeltern gehörte, brachten sie Geschenke mit, einen Fußball und eine Barbiepuppe. Sie drückten Niklas die Sachen gleich beim Betreten der Wohnung in die Hand, als handle es sich um das Eintrittsgeld. Oliver rief die Kinder und überreichte Lotte den Fußball, Hannes bekam die Puppe. Natürlich machte Lotte ein langes Gesicht und tauschte schnell mit dem verdutzten Hannes.
»Jungs spielen doch nicht mit Puppen«, erklärte sie.
»Ach so«, staunte Oliver.
»Ich habe früher ganz gerne mit Puppen gespielt«, ließ Niklas sie wissen.
»Ja, du«, sagte das freche Ding und lachte sich kaputt.
Hannes immerhin fiel noch ein, sich zu bedanken, und er reichte den Besuchern artig die Hand. Besonders an
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