Kindsköpfe: Roman (German Edition)
mit ihm Wein trinken gehen. Wenn er ihnen sagte, dass zu Hause sein Freund auf ihn wartete, ließen sie nicht nach. Im Gegenteil, sie überboten sich mit Einladungen für das Männerpaar, als wollten sie sich mit ihrer Bekanntschaft schmücken. Oliver konnte sich ihrer Avancen kaum erwehren und sagte eines Abends zu Niklas: »So ein bisschen Anfeindung und Diskriminierung wäre manchmal schon schön.«
Einmal besuchten sie mit den Kindern Eva in Köln. Sie gab der Kleinen stundenlang Schminktipps und schenkte ihr am Ende noch einen Nagellack, aber die Frauen wurden nicht recht warm miteinander.
Lotte suchte sich ihre Bekannten ohnehin lieber selber aus. Es verging kaum ein Nachmittag, ohne dass eine Freundin oder ein Freund aus der Schule zum Spielen kam. Niklas registrierte nicht ohne Stolz, wie beliebt die Kleine in ihrer Klasse war, ja, offenbar hatte sie die halbe Schule bezirzt, denn ab und zu tauchten auch Mitschüler aus höheren Klassen auf. Da Niklas sich für Lotte freute, fragte er nicht, warum sie nie mit zu anderen ging, schließlich sollte sie nicht das Gefühl bekommen, er wollte sie loswerden. Außerdem wertete er die häufigen Besuche ihrer Freunde als Zeichen dafür, dass Lotte sich zu Hause offenbar ausreichend wohl fühlte.
Zwar hatte er manchmal das Gefühl, unter besonderer Beobachtung zu stehen, gerade im Umgang mit Oliver; der aber meinte, es sei besser, als wenn die Eltern ihren Kindern den Kontakt verböten. Das bisschen Glotzen würde sich schon irgendwann legen, und Niklas sollte bloß nicht glauben, dass er wegen der kleinen Besucher auf Berührungen verzichten werde.
Tatsächlich aber kamen nur wenige Gäste wieder. Ob es ihnen nicht gefallen hätte?, fragte Niklas die Kleine nach ein paar Wochen. Doch, sehr! Ob Lotte ihre Freunde vorgewarnt hätte, dass bei ihr zu Hause nicht ganz alltägliche Verhältnisse herrschten? Da wurde sie rot, und er beendete die Fragestunde.
Bis er eines Tages von der Präsentation bei einem Kunden heimkehrte. Oliver war mit dem Jungen im Baumarkt, um Material für einen Drachen zu besorgen, und Lotte verbrachte den Nachmittag alleine zu Hause. Niklas fand, sie war mit acht Jahren alt genug dafür.
Dass bei seiner Heimkehr gleich fünf Gören die Wohnung bevölkerten, war nicht das Schlimmste; sie im Schlafzimmer anzutreffen, brachte ihn jedoch ziemlich außer Fassung, zumal er sich auf dem Weg dorthin bereits seiner Anzughose entledigt hatte.
Ihrer stadtführenden seligen Mutter nicht unähnlich, hatte Lotte die aufmerksam lauschende Besuchergruppe um das Doppelbett platziert und erzählte ihnen gerade, wer links schlief und rechts schnarchte, dass die Pyjamahosen mit dem Totenkopf-Muster Oliver gehörten und dass es sich bei dem Pädagogik-Wälzer auf dem Nachttisch um Niklas’ Bettlektüre handelte, wenn er mal wieder nicht schlafen konnte.
»Störe ich?«, fragte Niklas, und fast wäre der Anblick von sechs synchron zusammenzuckenden Knirpsen schon ausreichend Genugtuung für seinen Ärger gewesen. Er schickte Lottes Freunde nach Hause und befragte das immer noch zitternde Mädchen, was es sich dabei gedacht habe, fremden Leuten sein Schlafzimmer zu zeigen.
»Die wollten mir nicht glauben, dass ihr zusammen in einem Bett schlaft.«
Niklas bat Lotte, solche Aufklärungstouren zu unterlassen, weil er sich nicht wie ein Pinguin im Zoo fühlen wollte, und bat sie, von nun an nur noch echte Freunde wie Maki mit nach Hause zu bringen.
Oliver lachte sich halb tot, als Niklas ihm am Abend von Lottes Führung durch die Schlafgemächer erzählte.
»Wenigstens wissen wir jetzt, dass sie sich für ihre beiden Väter nicht schämt.«
Nein, von Scham konnte nun wirklich keine Rede sein, denn wenige Tage später wurde Niklas von ihrer Lehrerin in die Schule zitiert. Frau Domenicus empfing ihn in Lottes Klassenzimmer, einem deprimierenden Raum: Von der Wand hinter der Tafel bröckelte die Farbe, wenn man diese undefinierbare Mischung aus Grau und Grün als solche bezeichnen wollte. Obwohl draußen die Sonne schien, surrten über ihnen die Neonröhren. Das Monstrum von einer Turnhalle gegenüber schluckte jeden Sonnenstrahl. Ihre dunkelbraune Fassade warf jeden Blick, der in der Hoffnung auf Abwechslung aus dem Fenster wanderte, verächtlich wieder zurück.
Niklas ließ sich Lottes Platz zeigen, zwei Reihen vom Lehrertisch entfernt. Dort setzte er sich hin und hörte gespannt, dass das Kind in der Schule geradezu damit prahlte, zwei Väter zu haben, und
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