Kindsköpfe: Roman (German Edition)
die Kinder nicht zu wecken. Oliver öffnete das Fenster und steckte sich eine Zigarette an, während Niklas Milch aufsetzte.
»Wer weiß denn schon, was es mit den Kindern macht, wenn sie bei zwei Männern aufwachsen?«, fragte er.
»Ich glaube, Hannes sieht das ganz pragmatisch: Vorher hatte er gar keinen Vater, und jetzt hat er eben zwei.«
»Und was sagen wir Lotte, wenn die Bluterei losgeht? Da kann sie noch so viele Väter haben! Ich weiß zwar, dass es Tampons mit geschwungenen Rillen gibt und mit seidig-glatter SilkTouch-Oberfläche, weil ich das eine oder andere Modell schon betextet habe. Aber ich habe keinen Schimmer, wie man sich die Dinger einverleibt.«
Oliver verzog das Gesicht. »Hör auf mit solchen Sachen, sonst kann ich gleich nicht schlafen.«
»Genau das meine ich!«
»Ein bisschen was weiß ich schon noch aus dem Biounterricht, Nikki! Und dass Schafgarbe gegen Unterleibsschmerzen hilft, haben wir von Gundula gelernt … «
»Kordula!«
» … außerdem gibt es zwei Omas, die man zur Not fragen kann … «
»Deine Mutter möchte ich sehen, wenn sie mit Lotte Tampons kaufen soll.«
» … und dass Jungs immer nur das eine wollen, davor können wir sie selbst rechtzeitig warnen.« Oliver ging zu Niklas und schob eine Hand in seine Pyjamahose.
»Du musst es ja wissen.« Niklas zog die Hand wieder hervor. »Glaubst du nicht, dass Lotte eine Mutter braucht? Mir hat das damals gefehlt, ein Mann, zu dem ich aufschauen konnte. Der mir die Welt erklärt oder einen Drachen mit mir baut.«
»Dafür hast du ja jetzt mich!« Oliver legte grinsend den Arm um Niklas. »Glaubst du denn, dass Mädchen nur Sachen von ihren Müttern abgucken? Hast du Lotte in letzter Zeit mal beobachtet, wenn sie vorm Spiegel steht und neue Frisuren ausprobiert?«
Niklas fuhr Oliver durchs schüttere Haar. »Von dir kann sie das jedenfalls nicht haben.«
»Danke sehr.«
»Nicht dafür. Aber es kann ja nicht schaden, wenn wir uns ab und an eine Frau ins Haus holen, die noch nicht in der Menopause ist.«
»Ich kann ja Eva irgendwann mal fragen«, sagte Oliver.
»Fragst du sie bitte morgen?«
»Jawohl, mein kleiner Herr Direktor.«
Niklas rührte das Puddingpulver in die kochende Milch und nahm den Topf vom Herd. Oliver zog zwei große Löffel aus der Schublade, dann kehrten sie ins Bett zurück. Dort aßen sie schweigend ihren Schokoladenpudding. Als der Topf leer war, fragte Niklas: »Und was machen wir, wenn die beiden von anderen Kindern oder Eltern angefeindet werden?«
»Okay, Schwarzmaler«, Oliver legte den Arm um seinen Freund, »selbst wenn es so kommen sollte, und Lotte wird in der Schule ausgelacht – dann macht sie das hoffentlich stärker, und zweitens: Sollen wir etwas lassen, das wir für richtig halten, nur weil andere ihre feinen Nasen rümpfen?«
Niklas seufzte. »Du hast recht.«
»Natürlich habe ich recht.«
Niklas leckte einen Klecks Schokoladenpudding von Olivers Wange und löschte endgültig das Licht.
Von Niklas’ altem Leben war nicht viel übrig, seit Oliver und die Kinder bei ihm wohnten. Freunde, mit denen er früher nächtelang Aufzeichnungen alter Grand-Prix-Übertragungen aus glücklicheren Tagen, vor dem Erstarken der Ostfront, gesehen hatte, zogen sich zurück und führten ein Leben, das nur noch marginal mit seinem zu tun hatte, so wie Uwe und sein Freund: Deren letztes Lebenszeichen stammte von einer Tauchsafari vor den Malediven, wo sie auf Luxus-Schiffen hausten, die italienische Star-Designer entworfen hatten. Niklas warf ihre Ansichtskarte direkt in den Mülleimer.
Als Eltern waren die Männer in eine Parallelgesellschaft mit geänderten Öffnungszeiten gerutscht: Waren sie früher mit Freunden um Mitternacht losgezogen, um in der Altstadt Cocktails zu zuzzeln, gähnten sie jetzt schon nach der Tagesschau um die Wette. Neue Freunde zu finden war schwierig, es sei denn, sie wollten sich mit Bewohnern ihrer Matrix treffen, den alleinerziehenden Müttern von Lottes Mitschülern etwa, um dann den ganzen Abend über die lieben Kleinen zu reden und sich gemeinsam vor der nahenden Pubertät oder den ungewollten Schwangerschaften ihrer Töchter zu fürchten, aber darüber sprach Niklas ohnehin alle zwei Wochen mit seinem Friseur. Oliver war schon ganz genervt von der Kontaktfreude der alleinerziehenden Mütter aus Hannes’ Kindergarten. Manche verwickelten ihn beim Abholen in ein banales Gespräch, andere luden ihn direkt nach Hause zum Kaffee ein, forschere Naturen wollten
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