Kindsköpfe: Roman (German Edition)
gewohnten Welt, nur weil ich ein bisschen mehr Sonne haben will. Aber ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten zu Hause. Meine Depressionen fingen im Oktober an und gingen bis April, manchmal bis Mai. Und dann habe ich verstanden: Meine Kinder können nur glücklich sein, wenn ich glücklich bin. Das ist nun mal an diesem Fleckchen Erde der Fall. Was ich damit sagen will: Es kann euren Kindern gar nichts Besseres passieren, wenn ihr euch liebt und sie das spüren.«
Niklas lächelte. Der schwere Rotwein und das knisternde Feuer im Kamin hatten ihn müde gemacht. Seit dem Frühstück hatte er nichts gegessen, und so war ihm der Alkohol schnell zu Kopf gestiegen. Außerdem war er das Trinken nicht mehr gewöhnt, seit Lotte und Hannes bei ihm wohnten.
Es war schon kurz vor Mitternacht, als er sich verabschiedete. November begleitete ihn auf seinem kurzen Weg durch die frische Nacht. Der Regen hatte nachgelassen. Am Himmel zogen eilig ein paar Wolken vorüber, als müssten sie pünktlich beim nächsten Unwettergebiet antreten. Der Mond versteckte sich, als ginge ihn all das nichts an.
Niklas dachte über die Worte der Künstlerin nach. Alles klang plötzlich so einleuchtend: Man musste einfach nur glücklich sein. Er hoffte, dass Oliver und die Kinder das Unwetter wohlbehalten überstanden hatten, damit er seine neuen Erkenntnisse auch anwenden konnte. Nicht auszudenken, wenn …
Beim Betreten der Casita stolperte Niklas über mehrere Paar Schuhe, die im Eingang abgestellt waren. Fluchend tastete er sich durch die Dunkelheit und fand Halt an einem Stuhl.
»Geht es auch ein bisschen leiser, oder willst du die Kinder aufwecken?«
Oliver war zurück! Er lag vor dem Kamin und schaltete eine Taschenlampe an. Über den Stühlen hingen nasse Kinderhosen und -jacken. Schlagartig wurde Niklas nüchtern. Er warf schnell einen Blick ins Nebenzimmer und stellte beruhigt fest, dass die Kinder tief und fest schliefen. Niklas schloss die Tür und ließ sich glücklich neben Oliver fallen.
»Wie geht’s euch? Ich war oben im Haus, weil ich hoffte, du würdest vielleicht … «
Oliver hielt ihm den Mund zu.
» … awa daff Tewefon wing niff. «
»Könntest du für einen Moment aufs Ausatmen verzichten? Du stinkst wie zehn Matrosen.«
Er berichtete, dass er mit den Kindern, statt zum Strand zu gehen, nach Palma gefahren war, wo noch bis zum Nachmittag die Sonne geschienen hatte. Sie waren gerade am Hafen, wo sie einen erstklassigen Wind zum Drachensteigen vorgefunden hatten, als sie der Regen einholte. Sie liefen zurück in die Stadt, wo sie das Auto abgestellt hatten, mussten sich aber unterwegs in ein Einkaufszentrum retten, weil sie kaum noch ein trockenes Stück Stoff am Leib trugen. Oliver kaufte ihnen neue Kleider, und weil es sinnlos schien, den Weg durch das Unwetter fortzusetzen, verbrachten sie den Rest des Nachmittags mit Popcorn und Zuckerwatte im Kino. Als der Regen am Abend nachließ, machten sie sich auf den Heimweg, doch die Küstenstraße war gesperrt. Das Unwetter hatte Bäume umgestürzt, Erdmassen waren vom Regen auf die Fahrbahn gespült worden, stundenlang mussten sie im Stau ausharren, bis die Straße endlich freigeräumt war. Das Schlimmste aber stand ihnen noch bevor: der Fußweg von der Straße zum Haus hinauf. Knöcheltief versank man im Matsch. Lotte weigerte sich nach ein paar Schritten weiterzugehen und musste von Oliver getragen werden. Nur Hannes schien Gefallen an der Schweinerei zu finden und lief tapfer im Schein der Taschenlampe den ganzen Weg zu Fuß.
Am Ende seines Berichtes kuschelte sich Niklas an ihn. »Es war eine doofe Idee, hier zu bleiben und zu arbeiten.«
Oliver nickte versöhnt und gab seinem Freund einen Kuss. »Bist du denn vorangekommen?«
Niklas nickte. Und wie er vorangekommen war! Nach dem Gespräch mit der Bildhauerin hatte er keine Angst mehr, nach Hause zu fliegen. Wenn sich diese Schnüfflerin noch einmal den Kindern nähern sollte, würde sie ihn kennenlernen.
8 : Wiedersehen
Bei der Rückkehr aus Spanien fand Niklas im Postkasten einen Brief vom Jugendamt. Er zögerte, ihn zu öffnen, und las ihn erst am nächsten Tag in der Agentur. Ein gewisser Herr Lothar bat um Rückmeldung, aber Niklas schob den Anruf hinaus. Oliver erzählte er nichts von dem Brief. Er wollte einfach nur in Ruhe mit seiner Familie leben, zumal die anonymen Anrufe ausblieben, und auch seine Verfolgerin hatte sich nicht mehr gezeigt. Neuerdings zog Lotte ihrer Puppe sogar den schwarzen
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